Dienstag, 7. April 2020

Im Wald ist die Welt noch in Ordnung

Wenn ich merke, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann, die Motivation sich nicht einstellen mag oder einfach alles zu viel wird, dann zieht es mich nach draußen. Am liebsten würde ich in diesen Momenten alles stehen und liegen lassen. Einfach die Laufschuhe überstreifen, das Handy (meine Musik) schnappen und raus rennen. 

Gerade jetzt im Frühling ist es besonders intensiv. Nach der langen dunklen Jahreszeit beobachten, riechen und fühlen zu können wie das Leben in die Natur zurück kehrt, das ist überwältigend. Jedes Mal entdecke ich mehr Grün. Die Sonne scheint auf mich herab und im Wechsel mit dem Schattenspiel kommt es mir vor als wäre ich in einer ganz anderen Welt. Unter meinen Füßen abwechselnd weiches Moos, staubiger Sand, fest getretene Erde, harte Stöcke und Steine, Kuhlen und Hügel. Dann fühle ich mich selbst lebendig.


Wer mit offenen Augen durch Wald und Wiesen streift, der wird viel entdecken und mitnehmen dürfen. Neuerdings begleiten mich Schmetterlinge auf meinem Weg, schweben mir voraus, flattern fröhlich bunt an mir vorüber. Gestern trudelten viele Hummeln herum. Auch Rehen begegne ich in der letzten Zeit häufiger. Vor Kurzem habe ich sogar das erste Mal überhaupt in freier Wildbahn einen Fuchs gesehen. Wie ein Kind habe ich gestaunt, es war so aufregend. Sicherlich war der alte Hühnerdieb auf der Suche nach Beute. Ein wunderschönes Erlebnis, von dem ich noch Stunden und Tage zehren konnte. Insbesondere weil die Füchsin seit einigen Jahren zu meinen persönlichen Krafttieren zählt. Sie ist schlau und anpassungsfähig, nimmt sich was  sie braucht.  Sie beobachtet, bevor sie handelt und verlässt sich auf ihr feines Gespür. Eine trickreiche Diva, verspielt und doch stets auf der Hut. Für ihre Jungen gibt sie alles. Ich liebe Füchse.


Mein Herz schlägt höher und richtig schnell in solchen Momenten. Abgesehen vom Puls, der ohnehin schon durch das Laufen beschleunigt ist, meine ich. Nach einigen Minuten komme ich in einen Flow, wird mein Kopf ganz leer - im positiven Sinne und ich fühle mich frei. Gereinigt, unbeschwert. Die körperliche Anstrengung, mein Atem, der Meter vor mir, die Welt um mich herum. Alles löst sich auf und verschmilzt gleichzeitig. Ich werde eins mit mir selbst und dem Leben, in dessen pulsierender Mitte ich unterwegs bin. Sorgen, Pflichten, Abgabetermine sind für eine Weile vollkommen vergessen. Dann kann ich endlich einmal wirklich loslassen. Die ganze Last fällt ab.

Nicht umsonst kam der Begriff des Waldbadens vor einer Weile auch hier zu Lande in Mode. Spazieren am Strand, Wandern in den Bergen, Gassigehen mit dem Hund in heimischen Feldern, Schwimmen im kalten See. Egal wo oder wie wir die Natur unmittelbar erleben; wenn wir tief darin eintauchen wird deutlich, wie stark wir in ihr verankert sind und wo unsere wahren Wurzeln liegen. Wir sagen, dass wir uns die Gedanken mal ordentlich durchpusten lassen müssen und da ist was dran. Nichts sortiert das Getümmel in meinem Kopf so gut, wie eine Stunde da draußen. Es ist die Kombination von Auspowern und Freiluft. Sechzig Minuten auf dem Laufband im Fitnessstudio tun mir auch gut. Aber es ist nicht dasselbe.

Vor mir im Regal in meinem Homeoffice steht ein Schwarz-Weiß-Foto. Meine Freundin D. hat es im Wald aufgenommen, gerahmt und mir zum letzen Geburtstag geschenkt. Es zeigt einfach nur wie die Sonne durch die Baumwipfel fällt und den schattigen, dicht bewachsenen Boden. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Wenn meine Augen dorthin wandern, dann verspüre ich einen Sog. Der Anblick fesselt mich sofort. Ein sehr ursprünglicher Teil in mir wird angesprochen, der auf die Wälder reagiert. D. meinte, dass es sie an jenes Bild erinnert hätte, das bei uns im Schlafzimmer über dem Bett hängt. Ebenfalls eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Ebenfalls vom Wald. Mich erinnert es auch daran.

Dazu gibt es eine Geschichte. Jahrelang blieb besagte Wand über unserem Bett kahl und leer. Was mich störte. Meinen Mann nicht. Ich wollte etwas Besonderes dort hängen haben. Allerdings wusste ich nicht wirklich was für ein Motiv es eigentlich sein sollte. Es passierte ewig nichts. Eines Tages, ich hatte den Gedanken an ein Bild für diese große Wand schon beinahe aufgegeben, waren wir in einem Möbelhaus unterwegs. Aus einem ganz anderen Grund. Als wir jedenfalls alles beisammen hatten und in Richtung Kasse wollten, sah ich diese lange, horizontale Leinwand in der Ausstellung hängen. Und es war sofort um mich geschehen. Ich stand da und war ganz gefesselt. Ich verspürte eben jenen Sog. Ein Gefühl, eine Erinnerung, ein leiser Ruf in meinem Herzen. Da wusste ich, dass ich gefunden hatte, worunter ich abends einschlafen wollte. Wir nahmen es mit, hängten es auf und ich sagte: Dieses Bild gibt mir Frieden. Ich nenne es meinen Märchenwald, Zauberwald, magischen Wald. Dort herrscht auf immer Nebel. In meinen Träumen bin ich nachts schon häufig hindurch gewandelt. Habe ihn als Vorlage für Meditationen genutzt. 

Wälder üben seit je her eine starke Faszination und Anziehung auf die Menschen aus. Sie sind wild und ursprünglich, man kann sich in ihnen verirren. Überall huschen vor den Blicken verborgene Tiere und es herrscht ein unverwechselbarer, charakteristischer Duft, wie sonst nirgends. In so gut wie jedem alt überlieferten Märchen spielt der Wald eine zentrale Rolle. Ein Ort für Initiationen und Heldenreisen, um den eigenen Schatten, lauernden Gefahren und Gespenstern zu begegnen. Als bedrohlich galten die Wälder, nur die Mutigsten trieben sich dort herum oder die Seltsamen, Unangepassten. Wer genau hinschaut, der sieht noch heute in die lächelnden Gesichter von Baumgeistern, entdeckt Feenkreise aus Pilzen, Steinen oder Blumen und dieses kräftige, ewig währende, ausdrucksstarke, übermächtige, heilkräftige Grün. 

Wir finden besondere Geschenke auf einer kleinen Pilgerreise durch den Wald. Kraftgegenstände, Talismane. Wer bittet, dem wird gegeben werden. In den ersten Wochen der Corona-Krise, als die Angst mich völlig schockstarr machte, hielt ich mich fest an diesem Mantra: Please guide me, please lead me, please show me the way. Ich ging mit so vielen Fragen da hinaus und kam mit einfachen, aber eindrücklichen Antworten zurück: Mit Signalen und Wegweisern der Hoffnung. So fand ich zu meinen Füßen ein Hölzchen in der Form der Rune Algiz, die mir persönlich sehr viel bedeutet. Was für ein ausführliches Statement das war! Ein überaus mächtiges Symbol, das seit Alters her mit Schutz in Verbindung gebracht wird. Sogar dafür einsteht, wie kaum ein anderes Schriftzeichen. Auch für mich bedeutet Algiz absoluten Schutz. Aber darüber hinaus noch so viel mehr. Algiz macht Mut. Es bedeutet ganz und gar im Augenblick präsent zu sein. Fest mit den Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen und den Kopf hoch aufgerichtet zu den Wolken. Denn nur wenn man voll da ist und die Gesamtsituation klar überblicken kann, ist man wirklich handlungsfähig und in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nur wer ganz in seiner Mitte ruht und versteht, was vor sich geht, kann sich schützen. Deshalb ist Algiz eine Rune der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Sie sagt: Du bist sicher und geschützt. Passe Du  gut auf Dich auf und gib auf Dich selber acht. Sieh genau hin, was vor sich geht. Algiz ist mächtig. Du hast Macht. Du kannst Einfluss nehmen. Du kannst einwirken. Steh aufrecht. Sei stark. Sieh den Tatsachen ins Gesicht. Schütze Dich selbst, dann schütze ich Dich. Dann bist Du geschützt.


Ich probierte von diesem Tag an bei jedem Lauf einen anderen Weg aus. Lief keine zweimal hintereinander dieselbe Strecke. Ich wollte etwas Neues entdecken. In der Bemühung um Orientierung, um mich nicht zu verirren, fand ich zu mir und gelangte immer wieder sicher ans Ziel. Ich sah noch unzählige Algiz aus Stöckchen und Rinde. Die meisten von ihnen waren viel detailgetreuer gewesen als mein erstes. Aber dieses eine, das habe ich behalten. Ich bückte mich und hob es auf. Seitdem steht es bei meiner Kraftkerze auf dem Hausaltar. Als Wegweiser. Als Erinnerung an mich, dass ich mich nicht verlaufen werde. Dass ich begleitet bin und geführt. Dass ich es schaffen werde. Vielleicht auf Umwegen und unvorhergesehenen Pfaden. Aber wenn ich den Mut nicht verliere, gut aufpasse und meinem Instinkt folge, dann werde ich nicht fehl gehen. Dann komme ich wieder an und am Ende wird es gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende, wie die Silberweide immer so schön sagt.

Seit her jedenfalls weiß ich, wenn ich da draußen unterwegs bin und einmal mehr eine neue Abzweigung wähle, da plötzlich irgendwo ein Algiz liegt oder auch mehrere hintereinander, dass ich dieser Strecke ruhig weiter folgen kann. Weil sie mich letztlich wieder sicher nach Hause führen wird. Darauf kann ich mich verlassen. So hat der Wald mich seine eigene Lektion in Vertrauen gelehrt.

Es gibt auch einen Weg heraus aus dieser Krise. Vielleicht habe ich das im Wald begriffen. Vielleicht auch als ich durchs Fenster oder vom Balkon aus das niedliche Eichhörnchen im Garten der Nachbarin beobachtete. Denn das erinnert  mich ebenfalls an etwas. Das possierliche Tierchen hat seine ganz eigene Weisheit. Wie es sich ungestüm und lebenslustig von einem Ast zum anderen wieselt, um in der Tanne neben der Hütte genüsslich irgendwelche Zapfen zu mampfen. Es sagt: Sei flink und sorge vor. Sorge gut für Dich. Aber sorge Dich nicht. Handle einfach vorausschauend. Springe von Gelegenheit zu Gelegenheit, von Tag zu Tag. Du wirst immer wieder Halt finden. Wirst Gaben und Geschenke entdecken. Vielleicht musst Du Dich ein wenig anstrengen, beweglich und flexibel bleiben. Aber Du kommst schon durch. Bleibe wendig, bleibe lebendig. Es mag seine Zeit brauchen und nur in kleinen Schritten voran gehen, aber es geht immer weiter.


Freitag, 3. April 2020

Klartext gesprochen

Ihr Lieben, ich teile normal keine Videos. Erstens bin ich ein reines Foto-Mädchen und zweitens mag ich mich auch nicht so mit jedem Inhalt in Verbindung bringen lassen. Ihr wisst schon, was ich meine. Aber diesmal ist es anders. Heute mache ich eine Ausnahme. Obwohl ich mir eigentlich selber noch nicht einmal besonders gern Videos anschaue. Und schon gar keine langen. Youtube & Co. sind einfach nicht mein Ding. Dies hier jedoch hat meine Freundin A. am Morgen in unserem Mädels-Gruppenchat gepostet. Weil sie selber und meine andere Freundin A. es beide total überzeugend fanden und vor allem auch die Frau, die spricht, habe ich mir ebenfalls die zwanzig Minuten Zeit in der Mittagspause genommen. Fazit:  Ich kann mich nur anschließen. 

Alles ist thematisch absolut seriös, belegbar, nachvollziehbar, schlüssig und realistisch dargelegt. Das schafft Klarheit, räumt allerdings auch auf mit Illusionen oder Spekulationen dahin gehend, dass nach Ostern die ganze Welt plötzlich wundergeheilt sein und sich wie früher weiter drehen wird. Sicher möchte aber nicht jeder gerade  so genau über den Verlauf Bescheid wissen, der uns höchst wahrscheinlich noch bevor steht. Denn wir befinden uns jetzt erst am Anfang dieser Pandemie, davon bin ich überzeugt. Wenn Ihr also lieber nicht hören wollt (was ich wirklich absolut verstehen kann), dass diese ganze Geschichte noch sehr lange andauern wird bzw. wieso, dann schaut Euch das Video bitte eher nicht an. Meine Absicht ist nämlich keinesfalls, hier jemanden womöglich noch weiter runter zu ziehen oder zu verängstigen. Wobei das definitiv keine verschwörerische Propaganda ist, keine Sorge. Mir ist es einfach wichtig aufzuklären, eine Ernsthaftigkeit für die Maßnahmen zu erzeugen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, was faktisch unsere Lage ist. Darüber hinaus aber auch in welche Richtung wir uns bewegen, wenn man von einer natürlichen Entwicklung ausgeht.

Die Herangehensweise an das Thema ist sehr sachlich. Sie bestätigt mich persönlich quasi mit Fakten in dem, wovon ich ohnehin schon länger ausgehe. Nur in einem Punkt bin ich anderer Meinung als die Sprecherin: Ich verstehe, dass niemand von Seiten der Regierung Zusicherungen macht oder bisher konkret von einem möglicher Weise so lange andauernden Szenario spricht. Angst haben viele in der Bevölkerung nämlich schon genug. Die soll ja nicht noch weiter geschürt werden. Und noch besteht außerdem die Hoffnung auf einen Impfstoff, der uns erlösen und diese elendige Angelegenheit verkürzen kann.



Donnerstag, 2. April 2020

Anthropophobie

Die Anthropophobie (griech.: ἄνθρωπος (anthropos) = Mensch; φόβος (phobos) = Furcht, Scheu) ist die übersteigerte Angst eines Menschen vor anderen, und wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft mit dem weniger schwerwiegenden Begriff der Menschenscheu bezeichnet. Die Anthropophobie ist eine soziale Phobie, das heißt eine Angststörung, die sich in der Gemeinschaft mit anderen Menschen bemerkbar macht. Dies kann in Extremfällen zur Abschottung gegenüber jeglicher Interaktion mit anderen Menschen führen. Soziale Isolation mit allen ihren Problemen ist die Folge, muss aber auch als Bewältigungsstrategie gesehen werden, die der Angstreduktion dient, so dass diese Isolation vom Betroffenen auch gewünscht ist. (Quelle / Textnachweis)


Entwickeln wir durch Covid19 nun eine großflächige soziale Phobie? Ich habe an mir selber eine beunruhigende Regung feststellen müssen: Menschen machen mir plötzlich Angst. Womit ich nicht den moralischen Verfall unserer Gesellschaft meine, den ich schon lange kopfschüttelnd beobachte. Sondern ganz konkret die Tatsache, dass jemand mir körperlich nahe kommen könnte. Die einzige Person, auf die das nicht zutrifft, ist mein eigener Ehemann, mit dem ich zusammen lebe. 

Jeder von uns hat seinen privaten Tanzbereich. Eine persönliche Grenze, die kein ausreichend nahe stehender überschreiten sollte, weil ansonsten ein unbehagliches Gefühl in uns ausgelöst wird. Auf Grund des aktuellen Kontaktverbotes scheint diese imaginäre Linie sich bei mir aber auf tatsächlich mindestens zwei Meter ausgedehnt zu haben. Natürlich liegt es ganz klar auf der Hand: Es ist die Angst vor Ansteckung. Ich war seit je her jemand, dem zum Beispiel eine Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln unangenehm gewesen ist. Nicht so schlimm paranoid wie beim allseits beliebten Sheldon Cooper. Aber Sauna ist für mich auf jeden Fall echt abartig. Leute husten, schwitzen, atmen, fassen Haltegriffe oder ähnliches an. Im Bus oder Zug sind sie mir zudem körperlich deutlich näher, als ich es bei Personen gerne habe, die ich nicht kenne. Bazillen und Viren schwirren überall umher, so dass ich mich nach dem Aufenthalt in einer Arztpraxis, einer U-Bahn etc. ohnehin irgendwie schmutzig gefühlt habe. Jetzt ist das aber nochmal eine ganz andere Nummer. Plötzlich erscheint mir eigentlich jeder als eine potenzielle, unmittelbare Gefährdung für meine Gesundheit.

Im Supermarkt, der Apotheke usw. macht sich das am meisten bemerkbar. Überall dort also, wo ich anderen überhaupt noch begegne. Sogar wenn mir im Wald beim Laufen Spaziergänger oder andere Jogger entgegen kommen, mache ich einen extra großen Bogen um sie herum.Geht im Laden jemand an mir vorbei, spüre ich eine regelrechte Stressreaktion in mir aufsteigen. Irgendwann stellte ich fest: Du hast echt Angst vor den Leuten. Bzw. dass sie krank oder Träger sein könnten.

Aktuell beobachte ich hauptsächlich zwei Arten von Umgang mit der sozialen Distanz: Die einen nehmen es überhaupt nicht ernst, finden es übertrieben und machen sich scheinbar auch keinen Kopf darüber, ob sie jemanden infizieren könnten. Die anderen halten sich brav an alle Regeln, scheinen aber nicht weiter aufgeregt oder betroffen zu sein. Was ja durchaus vernünftig ist. Es bleibt uns eh keine Wahl. Aber gibt es noch mehr von denen, die sich gerade so fühlen wie ich?  Gutes Mittelmaß wäre ja gesund. Ich hingegen scheine zu einer eher extremen Reaktion zu tendieren. 

Vor ein paar Tagen war es besonders traurig: Ich traf meine unbiologische Schwester liebe Freundin K. im örtlichen Edeka-Markt. Wir mussten einkaufen. Sie gehört zu den Alltagshelden dieser neuen Zeit, die sich tagtäglich abrackern, Überstunden kloppen und an ihre Grenzen gehen, um uns andere weiterhin mit allem Notwendigen zu versorgen. Um sich, nebenbei bemerkt, dafür häufig auch noch überflüssiger Weise mit Spott, Meckereien und Unfreundlichkeit belohnen lassen zu dürfen.

Als wir auf den Parkplatz gefahren kamen sah ich sie gleich vor dem Laden stehen. Noch ein Zigarettchen vor Dienstantritt. Sie drehte sich um, bemerkte mich auch und kam mit ausgebreiteten Armen in meine Richtung gelaufen. Während ich ihr ebenfalls entgegenging, sprang plötzlich ein Mechanismus in mir an, der mich stoppen ließ. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Angst, meine Freundin zu umarmen. Vielleicht klingt das jetzt in Euren Ohren total banal. Aber für mich war es irgendwie eine große Sache. Auf einmal schossen mir etliche Gedanken durch den Kopf. Dass sie jetzt sicher enttäuscht wäre oder sich abgelehnt fühlte. Dabei wollte sie mich vermutlich selber auch gar nicht wirklich umarmen. Bzw. wollten wir es natürlich beide! Doch ich vermute, dass sie es genauso wenig tatsächlich vor hatte, wie ich. 

Normalerweise begrüßen wir uns wahnsinnig überschwänglich. Drücken uns feste und herzlich, Küsschen auf den Mund, freudestrahlende Mädels. Und dann das. Wir standen uns gegenüber und ich schämte mich. Für meine Distanz. Ich denke schon, dass wir uns richtig verhalten haben. Genauso wie es vorgeschrieben ist und es auch der gesunde Menschenverstand im Augenblick verlangt. Dennoch tat es mir einfach nur furchtbar leid und ich fühlte mich wie die schlechteste Freundin der Welt,  mies. Erschwerend kommt nämlich noch hinzu, dass wir uns seit ein paar Wochen nicht getroffen hatten. Selbst unsere teilweise stundenlangen Unterhaltungen via WhatsApp-Sprachnachrichten wurden von den veränderten Verhältnissen, viel Arbeit, Stress und dem ganzen Krempel, geschluckt. So standen wir da, mit einer circa anderthalb Meter messenden Entfernung von einander. Der Abstand jedoch kam mir sehr viel größer vor. Das hat mich emotional ganz schön aus der Bahn geworfen.

Ähnlich geht es mir mit meinen anderen Freundinnen und der Clique hier aus unserem Wolfsrudel, mit der ich sonst eigentlich jedes Wochenende verbracht habe. Sie fehlen mir. Ich sehe im Kalender die Einträge von Veranstaltungen, an denen wir normalerweise gemeinsam teilgenommen hätten. Wir hätten zusammen gefeiert, gelacht, getanzt, geredet. Diese Termine sind nun gestrichen. Wir winken uns statt dessen mal aus der Ferne, rufen uns was zu, machen Quatsch in den Gruppenchats. Und manchmal fühle ich einen kleinen Stich, weil ich sie einfach nicht sehen darf und auch keinen blassen Schimmer habe, wann sich das wieder ändern wird.

Hoffen wir alle, dass schnell ein Impfstoff und / oder Heilmittel gefunden wird. Denn so lange wir das nicht haben, wird sich für mich persönlich an der Situation quasi nichts ändern. Selbst wenn die Regierung das Kontaktverbot aufheben sollte, weiß ich nicht ob ich das Risiko in Kauf nehmen würde. Risikogruppe und so. Keiner kann mir sagen inwieweit die immunsuppressive Behandlung sich nach wie auswirkt. 

Zu meinem Mann habe ich kürzlich gesagt, dass dieser Wehmut auch etwas Schönes hat. Denn meine Empfindungen zeigen einfach, dass sie mir etwas bedeuten. Dass ich diese Menschen wirklich gerne habe. Sie machen mich dankbar, dafür Teil einer wunderbaren, verrückten Gemeinschaft zu sein. Sie beantworten die eine essenzielle Frage. Nämlich die, ob mein Herz intakt ist.

Neulich stieß ich dann auch genau im Herzstück-Magazin auf ein tolles, dazu passendes Zitat:


Ich kann aus voller Überzeugung behaupten: Ja! Ich weiß, dass ich am rechten Ort bin, zur richtigen Zeit und dass ich genau diejenigen getroffen habe, mit denen ich noch einmal zusammen sein will und noch unzählige Male. Die ich wieder sehen will. Und ich wache neben dem einen morgens auf, mit dem ich bis ans Ende meines Lebens auch in Quarantäne bleiben wollen würde. Mit ihm und unseren drei Schnuppen natürlich. Also habe ich alles gefunden, wonach es sich zu suchen lohnt.

Mittwoch, 1. April 2020

Begleiterscheinungen

Einer der positiven Nebeneffekte dieser ganzen Corona-Misere ist definitiv, dass ich mich nun schon zum zweiten Mal innerhalb von 10 Tagen dazu bemüssigt fühle, hier meine Gedanken aufs virtuelle Papier zu bringen. Keine Ahnung wann ich das Schreiben verlernt oder vergessen hatte. Es geschah einfach. Der Alltag gab es nicht mehr her. Aber vielleicht war es nicht nur das. Auch die Quelle in meinem Inneren war versiegt. Ich hatte schlicht nichts zu sagen. Natürlich ist mir das aufgefallen und es tat auch lange irgendwie weh. Doch der Schmerz darüber verblasste mit mit der Zeit.

An die Stelle meiner Blogeinträge traten tägliche Aufzeichnungen in meinen privaten Tagebüchern. So ganz old School mit der Hand. Jeden Morgen zog ich eine Tageskarte oder auch am Abend davor. Jeden Monat nahm ich ein anderes meiner aktuell 30 Tarot- oder Orakelkartendecks. Ich schrieb auf, wie ich die Karte verstand. Was ich meinte, was sie mir an jenem Tag zu sagen hätte und wie ich ihre Bedeutung interpretierte. Am Abend dann oder am nächsten Morgen machte ich mir Notizen, wie der Tag tatsächlich verlaufen war. Ein und dieselbe Karte konnte in einem Monat dreimal erscheinen und jedes Mal etwas anderes ankündigen. Die Grundenergie einer Karte bleibt stets dieselbe. Aber sie bezieht sich mal auf einen bestimmten Lebensbereich, mal auf Dein Gefühlsleben, dann wieder auf Deine Gedankenwelt, Beziehungen, Erlebnisse oder auch bestimmte, wichtige Situationen. 

Ich lernte meine Decks neu und intensiver kennen, was auch der Grund gewesen war, weshalb ich das irgendwann angefangen hatte. Darüber hinaus wollte ich eine spirituelle Praxis in meinem Alltag integrieren, in der ich mich mit mir und meinen Empfindungen auseinander setzen konnte. Privat. Das waren sehr persönliche Eindrücke und Erfahrungen. Nichts, was ich hätte ins Netz stellen wollen.

Irgendwann war ich mit dem Zyklus durch. Alles im Leben hat seine Zeit. Es gibt Phasen der Einkehr und Innenschau, in denen wir schweigen und die Dinge mit uns selbst ausmachen. So eine war das wohl. Und ich hatte eine Menge zu verdauen, das könnt Ihr mir glauben.

Meine knapp 30 überschüssigen Cortison-Kilos hatte ich dank eisernem Willen, Durchhaltevermögen, viel Disziplin und nicht zuletzt der WW-App wieder abgenommen. Ich konnte mich endlich wieder lieben. Die Frau im Spiegel, das war wieder ich. Mit mir blühte auch mein soziales Leben wieder auf. Ich ging viel auf Parties, begleitete meinen Mann zum Fußballplatz und amüsierte mich köstlich mit den Mädels. 

Nach einer Weile jedoch begannen die täglichen Eintragungen mich zu ermüden. Da ich seit 2012 schon durchgängig auf Instagram sehr aktiv bin (zu meinem Account @athenaenodia gelangt Ihr, wenn Ihr in der linken Sidebar auf die Insta-Diashow klickt), kam ich eines Tages auf die Idee, dass ich auch dort mit meinen täglichen Interpretationen weiter machen könnte.

Auch hier hatten sich Ermüdungserscheinungen breit gemacht. Mir stand nicht mehr der Sinn nach den ewigen Nagellack- und Kaffee-Fotos. Obwohl ich die sehr mochte, war es irgendwie immer dasselbe und mir fielen schon langsam keine kreativen Ideen mehr ein, die Bilder neu oder abwechslungsreich zu gestalten. Also begann ich, die Botschaften allgemeiner zu formulieren und die Karten jeden Morgen mit meinem Kaffee zusammen zu fotografieren.

Das gab mir plötzlich neuen Schwung. Ich suchte weiterhin jeden Monat ein anderes Kartendeck heraus, welches ich thematisch und anhand der Gestaltung für die jeweilige Jahreszeit als passend empfand. Zusätzlich konnte ich mir jetzt für jeden Monat ein anderes Layout einfallen lassen. Einen Rahmen, eine Farbgebung oder kleine Effekte, die sich vom Vormonat unterschieden. An dieser täglichen Praxis habe ich bis heute große Freude. Seit letztem Oktober mache ich das nun und es ist ganz besonders schön, dass ich dafür auch noch häufig positives Feedback bekomme. Es scheint den Menschen gut zu tun, den Morgen mit einer Message zu beginnen, an der sie sich tagsüber in bestimmten Situationen oder Gefühlslagen orientieren können. Damit habe ich das Rad zwar nicht neu erfunden, denn es gibt auch noch viele andere tolle, kreative und spirituelle Menschen, die ähnliche Beiträge teilen. Aber darauf kommt es mir ehrlich gesagt auch gar nicht an. Ich berühre einige Seelen mit meinen Worten und Bildern, das fühlt sich echt gut an.

So ist das im Leben. Wie das Meer den Gezeiten von Ebbe und Flut unterworfen ist und die ganze Natur dem Wandel der Jahreszeiten, so verpuppen auch wir uns manchmal. Dann sind wir still, brüten vor uns hin. Aber irgendwann kommen wir auch wieder hervor. Meistens stärker, schöner und besser als zuvor.

Was das jetzt alles mit Corona zu tun hat? Na ja, ist halt auch so eine Phase, durch die wir jetzt durch müssen. Ich wollte aber doch eigentlich von Begleiterscheinungen sprechen. Abgesehen davon, dass 8 Rollen Toilettenpapier aktuell 5,-€ kosten, meine ich. Die ich in dem Moment natürlich gern bereit bin zu zahlen, nur mal so am Rande. Bin ja froh, wenn ich überhaupt welches kriege. Angebot und Nachfrage bestimmen eben den Markt. Wenn also jeder Klopapier haben will und kaum welches verfügbar ist, dann steigt der Preis. Ganz einfach. Diese Gegensätzlichkeiten sind schon faszinierend. Einige können oder dürfen momentan überhaupt nicht arbeiten, die sind völlig fertig, verängstigt und sorgen sich um ihre Zukunft. Andere können sich vor Arbeit nicht mehr retten. Ganze Wirtschaftszweige und Branchen sind vom Ruin bedroht, wohin gegen andere sich dumm und dämlich verdienen, wie man so schön sagt.

So langsam kehrt auch bei mir wieder etwas Ruhe ein. Innerlich. Alles andere bleibt wie gehabt. Hausputz, Wäsche, Einkauf und Job müssen trotz allem erledigt werden. Aber diese extreme nervliche Anspannung hat etwas nachgelassen. Zwar ist nach wie vor nichts sicher, alles bleibt offen und ungewiss. Ich will auch nicht behaupten, dass ich mich himmelhoch jauchenzend fühle. Aber der Mensch scheint sich, wie und je, recht schnell an neue Gegebenheiten anpassen zu können. Auch in dieser surrealen Lage ist bereits so etwas wie Routine eingekehrt. Man arrangiert sich. 

Wir wollten zum Beispiel schon lange diesen Hype um "Game of Thrones" verstehen, hatten aber bislang nie die passende Gelegenheit, dort mal rein zu schnuppern. Letzte Woche haben wir mit der ersten Staffel begonnen und sind jetzt glaube ich bei Folge 10. Echt klasse, bin gespannt wie es weiter geht! Wo außerdem inzwischen auch aus meinem Kopf der Gedanke verschwunden ist, dass ich vielleicht lieber erstmal verstärkt haltbare Lebensmittel einkaufen sollte, gibt es sogar endlich einmal wieder seit langem frische Salate und selbst gekochtes, gesundes Mittagessen. Obst und Gemüse, Vitamine, echte Nahrung für Körper und Seele.

Dazu komme ich zwar auch jetzt nicht jeden Tag, weil ich halt meinem geregelten Arbeitsalltag ganz normal weiter nachgehen muss bzw. darf. Ein Segen, dass wir beide, mein Mann und ich, in der Digitalisierung tätig sind. Aber das war einfach in den letzten Wochen komplett untergegangen. Nur noch Schnitten, Fertiges oder Bestelltes. Mit dem Frühlingserwachen lechze ich nun aber wieder regelrecht nach leichter, bekömmlicher und selbst zubereiteter Kost. Für April steht daher Ernährung hier ziemlich weit oben auf der Agenda.

Heute ist das Wetter noch einmal herrlich. Da wir die Uhren umgestellt haben, was mich persönlich übrigens überhaupt nicht kratzt, kann ich nun auch wieder nach Feierabend joggen gehen. In der dunklen Jahreshälfte hatte ich dafür meine Mittagspause auf zwei Stunden ausgedehnt und abends eine Stunde länger gearbeitet. Nachher werde ich mich also in die Laufschuhe werfen und mir im Wald den Kopf frei rennen. Und auch die Kalorien-Sünden von gestern. Und von den Tagen davor. 

Neulich las ich einen dieser Facebook-Sprüche und musste schmunzeln. Da stand "wenn  wir die Corona-Krise hinter uns haben, dann sind wir alle übergewichtig, schwanger oder Alkoholiker". Da ist was dran.

In diesem Sinne, passt auf Euch auf Ihr Lieben und bleibt gesund.