Samstag, 19. Dezember 2020

Der Geist der Weihnacht

Ihr Lieben, lasst mich Euch aufzeigen, wie ich dieses Fest sehe. Welche Emotionen es in mir auslöst und was es mir bedeutet. Es geht dabei nicht ums Heiden- oder Christentum. Es braucht für mich keinen Namen wie Jul oder Heiligabend. Letzten Endes erzählen für mich beide Versionen dieselbe Geschichte, wenn auch mit anderen Worten. Weihnachten ist Liebe und der Glaube an Wunder, der auf ewig fortbesteht. Es ist die Hoffnung darauf, dass am Ende alles gut werden wird. Dass auch nach der längsten Nacht wieder ein heller Morgen auf uns wartet. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn die Wintersonnenwende ist nichts andres als der Beweis der Natur, dass inmitten der dunkelsten Zeit des Jahres das neue Licht geboren wird. In jedem Jahr, in jedem Leben, in jeder Geschichte. Egal ob sie vom Kampf des Stechpalmenkönigs gegen den Eichenkönig berichtet oder von der Geburt Jesu Christi. Die Wahrheit ist, die eine, unumstößliche Tatsache, dass zur Weihnachtszeit die längste Nacht des Jahres endet und das Licht wieder an Kraft zunimmt. Mitten im Winter. Da gewinnt die Sonne wieder an Kraft und die Tage werden langsam länger. Sehr langsam, beinahe unmerklich. Denn die vermeintlich tristeste und kälteste Periode des Winters steht uns ja erst noch bevor. Dennoch ist es Fakt.

Wenn keine Lichterketten und Tannenbäume mehr die trüben Gedanken und finsteren Gedanken ausleuchten. Wenn das große Fest vorüber ist, all die köstlichen Gerichte verspeist und die feierliche Vorfreude längst verpufft. Dann schleicht sich der Frühling auf leisen Sohlen zurück in unser Dasein und bringt die Verheißung auf (ein) neues Leben mit sich.

Weihnachten, das ist ein überschwängliches Gefühl, alles und jeden und die ganze Welt umarmen zu wollen. Es erinnert uns daran zu teilen, zu helfen, zu schenken und das Gute zu sehen. Überall. Es weckt Nächstenliebe und Güte und Werte, die wir vielleicht aus den Augen verloren haben.

Es ist mir gleich, dass heute leider eine häufig verbreitete Meinung herrscht die besagt, dass wenn es nur einmal im Jahr zu solchen "Ausbrüchen von Herzlichkeit" käme, dann könne man sich dies auch gleich klemmen. Was für ein Quatsch! Wie sollen wir denn sonst zurück auf den rechten Pfad kommen und erinnert werden an all die Wärme? An Verbundenheit, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Einmal muss doch der Wendepunkt kommen, an dem wir uns auf all das zurück besinnen. Klar ist das Leben hektisch. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen und ist mit sich selbst beschäftigt. Kann es deshalb schlecht sein, wenn der Augenblick gekommen ist, der uns darauf aufmerksam macht, dass da noch mehr ist? Noch viel mehr? Größeres, wichtigeres, immerwährendes und ewig gültiges?

Ich glaube wenn wir uns dem verschließen und diese Rückbesinnung endgültig verweigern, dann ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Natürlich wäre es gut und wünschenswert, wenn uns diese Grundstimmung das ganze Jahr über begleiten würde. Aber so einfach ist es nun einmal nicht. Wir sind alle nur Menschen. Und wir sind nicht perfekt. Jeder von uns hat kleine und große Sorgen und einen Job und viel zu tun und einen Alltag zu managen. Die einen behalten es mehr im Blick und die anderen weniger. Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen. So ist das Leben. Wir leben in einer Realität, die fern vom Paradies oder einer Utopie existiert, die sicherlich erstrebenswert wäre.

Und doch lebt dieser Funke und er keimt und er schlägt Wurzeln und er breitet sich aus. So, dass das Gute fortbestehen kann. Wenn wir es zulassen. Wenn wir unsere Herzen öffnen und alle starren religiösen wie auch weltlichen Dogmen abstreifen. Und einfach wieder zu Kindern werden. Vielleicht nur für einige Tage im Jahr. Aber die können genügen.

In meiner tiefsten Depression, da fühlte ich fast gar nichts mehr. Ein beinahe unbeschreiblicher Zustand. Ich hatte weder Kraft einen Baum zu schmücken, noch sonstige Ressourcen. Umso dankbarer bin ich heute. Wo ich all die Freude, das Leuchten und die kindliche Sorglosigkeit wieder spüren kann. Denn diese Abwesenheit schmerzte. Zumindest insofern, als dass ich mich erinnern konnte und wusste wie ich mich eigentlich hätte fühlen sollen. Wie ich mich immer gefühlt hatte. Wie sehr ich dieses Fest liebte. Ich wusste es, aber ich konnte es nicht reanimieren. Damals nicht. Und ich hatte keine Ahnung ob es jemals zurück kehren würde. Aber wie die Sonne im tiefsten Winter, so erstieg auch ich eines Tages wie der Phoenix aus der Asche.

Heute lebe ich wieder die totale Weihnachts-Euphorie, wie früher. Auch wenn nicht alles perfekt ist. Obwohl es da Sorgen gibt, die mich begleiten. Ich will glauben, dass alles gut werden wird. Denn das macht es doch aus. Das ist doch der Zauber und die Verheißung der Heiligen Nacht.

Das macht uns aus. Egal ob wir Heiden sind oder Christen oder ob wir "an gar nichts glauben". Dem Geist der Weihnacht können wir uns so gut wie nicht entziehen. Und das sollten wir auch nicht. Der Glaube an das Licht und die Liebe und den Zauber verleiht uns eine Kraft, die ich für geradezu lebensnotwendig halte.

Für diese paar Tage oder auch Wochen im Jahr werden wir alle ein kleines bisschen wieder zu Kindern. Der eine mehr, der andere weniger. Trotz Einkäufen, Stress und Kochmarathon müssen wir uns das bewahren! Verschließt Euch nicht vor der Magie der funkelnden Lichter im Baum, der flackernden Flammen von Kerzen oder des Duftens von frischem Gebäck. Was gewinnt Ihr denn dadurch? Richtig - gar nichts. Ihr bringt Euch lediglich um eine bereichernde Erfahrung, die uns alle Jahre wieder vor Augen führen kann, worauf es wirklich ankommt. Auf die kleinen Dinge nämlich. Freundschaft, Verbundenheit, Menschlichkeit, Fröhlichkeit und Liebe. Wofür bitte leben wir denn sonst?! Dein Geld kannst Du jedenfalls nicht mitnehmen, wenn es irgendwann vorbei ist. Dass es ohne auch nicht schön ist, darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Ich will nur sagen, besinnt Euch auf das Wesentliche. Worauf es im Leben ankommt. Was wirklich wichtig ist.

Hand auf´s Herz: Wer hegt nicht den Traum der weißen Weihnacht? Wer mag denn  keinen Schnee?! Ich rede jetzt nicht von den pragmatischen Angelegenheiten. Von Verkehrschaos und Räumdienst und grauem Matsch. Nein. Stellt Euch den Zauber vor. Die Stille, den Frieden und die unvergleichliche Schönheit dieser fluffigen Puderzucker-Decke über dem Land. Was könnte schöner sein? Glücklicher Weise müssen wir dank Snowhy zu keinem Weihnachtsfest auf Schnee verzichten. Aber mal ernsthaft, dieses Märchen existiert doch wohl einfach im Herzen von so gut wie jedem (der kein Grinch ist).

In diesem Jahr wird Weihnachten für viele Menschen anders ausfallen, als sie es gewohnt sind und vielleicht gewünscht hätten. Ich sage, das Fest bleibt das Fest! Erfreut Euch an Eurem warmen, gemütlichen Zuhause, das vermutlich im Glanze unzähliger Lichter erstrahlt. Schaut Weihnachtsfilme (besser kann man kaum in Stimmung kommen), hört Weihnachts-Lieder, dekoriert Euer Haus, backt Plätzchen, nascht all die leckeren Sachen und lasst es Euch gut gehen. Kommt mal zur Ruhe. Lest, kocht, lasst es Euch schmecken und denkt mal an nichts. Die Zeit hält doch eh nicht lange an. Die Feiertage sind so schnell schon wieder vorbei, wir sollten sie genießen. Und zum Glück gibt es ja heute so tolle Sachen wie whatsApp, Video-Calls und Teams-Meetings. Da kann auch eine virtuelle Bescherung eine lustige Angelegenheit werden.

Um hier nichts zu beschönigen und ganz offen zu sein: Als es um Lucky ging, da war es mit meiner Coolness und Besinnlichkeit auch am Arsch! Ist ja klar. Richtige Krisen können uns kalt erwischen, egal zu welcher Zeit im Jahr. Und dennoch hat es vielleicht ein klein wenig geholfen, sich mit Weihnachtsfilmen & Co.  abzulenken. Denken wir positiv, wünschen uns das Beste und hoffen auf einen glücklichen Ausgang. Mehr können wir eh nicht tun. Dank medikamentöser Einstellung sind wir vorsichtig zuversichtlich, ein weiteres fröhliches Weihnachtsfest mit allen dreien unserer Schätze verbringen zu können. Genauso wie wir es lieben. Das ist das größte Geschenk. Auch wenn wir uns natürlich sehr gefreut hätten mit unseren Freunden einen tollen Feiertag zu verbringen. Lasst es uns nehmen, wie es nun einmal ist. Es ist trotzdem schön und etwas ganz besonderes. Schließlich ist Weihnachten nur einmal im Jahr!

Macht ein Spektakel daraus, lasst es krachen! Mit Lichterketten und Glühwein und Lebkuchen und viel zu viel leckeren Sachen und allem, was dazu gehört. Ich wünsche uns allen von Herzen ein gesegnetes Jul, frohe Weihnachten, magische Rauhnächte und einen guten Rutsch in ein glückliches, gesundes neues Jahr! 



Donnerstag, 3. Dezember 2020

Fluch oder Segen?

Mit der Hoffnung ist das so eine Sache. Wenn Du in ernster Sorge bist und um das Leben eines geliebten Wesens bangst, sagt immer jeder, dass Du bloß nicht die Hoffnung aufgeben sollst. Grundsätzlich ist es glaube ich auch richtig und wichtig, dass man einen positiven Ausgang visualisiert. Gestern jedoch fragte ich mich plötzlich ernsthaft, ob die neu aufkeimende Hoffnung ein großes Geschenk ist oder vielleicht doch ein schrecklicher Fluch. Wenn Du Dich bis zuletzt an dieser Hoffnung festklammerst und sie dann vielleicht doch enttäuscht wird. Wenn diese Illusion dann in 1000 Teile zersplittert, wie Glas. Das ist grausam. Wenn die Chancen 50/50 stehen, ist nun einmal beides möglich. Was also tun? Nicht, dass wir es wirklich bis zum äußersten kontrollieren könnten. Ich weiß nicht ob das funktioniert.

Was aber wäre die Alternative? Nicht zu lieben? Denn der Preis, den wir für die Liebe zahlen, ist Angst und Trauer. Weil wir zwangsläufig eines Tages diese Liebe verlieren werden. Der Tod wird uns trennen. Unvermeidbar. Zumindest in diesem Leben. Aber ich sage, dass es das wert ist. Wirklich zu lieben bedeutet so viel und ist so groß, es ist jede Träne und jeden Schmerz wert.

Wir stecken gerade in so einer Situation. Die meisten hier dürften wissen, dass wir drei Katzen haben, die für uns einfach wortwörtlich unsere Kinder sind. Zwei Jungs und ein Mädel, genauer gesagt. Alle drei stammen gebürtig aus dem Ausland und wurden uns über den Tierschutz vermittelt. Unser ältester heißt Lucky. Er kam Anfang 2008 zu uns, als wir Gizzmoh gerade ganz frisch nach langer, furchtbarer Krankheit verloren hatten.

Sein Name ist buchstäblich Programm. Er war unser Glücksbringer. Er hat uns alle auf viele Arten gerettet und geholfen, diesen kaum erträglichen Verlust zu verschmerzen. Er brachte das Lächeln zurück zu uns nach Hause. Und er hatte selber Glück gehabt. Lucky wurde durch die spanischen Straßen streunend gefunden, an dem Tag, als Gizzmoh zum letzten Mal in die Klink eingeliefert wurde. Er suchte ein liebevolles Zuhause und wir hatten viel zu geben. Gizzmohs Lebensgefährtin, Shiva, hatte ihr ganzes Leben an dessen Seite verbracht und befand sich ebenfalls in tiefer Trauer. Es ging ihr nicht gut. Keinem von uns ging es gut. Aber dann fanden wir Lucky. Oder das Schicksal fand uns für ihn. Und auf leisen, samtigen Sohlen schlich sich wieder Lebensfreude bei uns ein.

So genau kann bei einem Findelkind natürlich niemand sagen, wie alt es ist. Damals wurde er auf ca. 1 - 2 Jahre geschätzt. Er war also schon ausgewachsen. Aktuell ist Lucky somit mindestens 13 Jahre alt, möglicher Weise aber auch schon älter. Er war schon immer häufig krank, kein überragender Esser und ziemlich dünn. Ständig erkältete er sich, bekam Schnupfen, Husten und Halsentzündungen. Durchzug oder Winterkälte kann er gar nicht vertragen. Alles unter zwanzig Grad ist für ihn quasi zu kalt. Da muss man gerade im Herbst und Winter ganz besonders aufpassen, dass bloß in seiner Nähe nicht die Fenster zu lange offen stehen.

Durch die Fußbodenheizung ist unsere Wohnung in der dunklen Jahreshälfte muckelig warm, gelinde ausgedrückt. Manchmal eher wie Sauna. Aber wenn man sie einen Tacken zu weit herunter regelt, schaltet sie ab und es wird erstmal eisig. Außerdem lieben Katzen warme Böden und genießen es sehr, sich darauf herum zu aalen. Allerdings hat auch dies seine Tücken. Die Luft ist trotz (neu angeschafftem) Zimmerbrunnen und diversen, in den Räumen verteilten Wasserschälchen, ziemlich trocken. Was wiederum für die Schleimhäute auch nicht  gut ist und Infekte begünstigt. 

In den letzten Wochen war Lucky mal wieder mehrfach krank gewesen. Kehlkopfentzündung, tränende Augen, die sich entzündet hatten, Nießattacken. Was vor ungefähr einem Monat zum ersten Mal echte Angst in mir auslöste war, dass er plötzlich eines späten Abends offensichtlich sehr schlecht Luft bekam. Sein Atem ging laut pfeifend, rasselnd und röchelnd. Man konnte sogar an seinem Rumpf dieses Brodeln spüren.

Ich steckte ihn kurzer Hand in seine Katzenbox und ließ ihn über einer Schale mit kochendem Wasser und Meersalz für einige Minuten inhalieren. Das hat er zwar nicht gerne und in die Box zu müssen stresst ihn generell extrem. Aber es half ein wenig und verschaffte uns Zeit, bis wir ihn am nächsten Tag bei unserer Hausärztin vorstellen konnten.

Sie meinte auch, dass es ihn dieses Mal ganz schön erwischt hatte. Er bekam einmal mehr das volle Programm. Antibiotika, Cortison, Aufbaumittelchen. Eine leichte Besserung stellte sich relativ rasch ein und nach ca. einer Woche war er so gut wie beschwerdefrei. Kurz danach kam dann leider die Augenentzündung und der Junge hatte wieder keine Ruhe, musste erneut zur Ärztin. Zweimal am Tag Salbe ins Auge schmieren. Auch dies regte ihn auf, aber es hielt sich in Grenzen.

Am Montagvormittag dieser Woche setzten aus heiterem Himmel die lauten Atemgeräusche wieder ein. Er bekam sichtbar schlecht Luft. Glücklicher Weise konnte ich für den selben Tag einen Termin bei der Ärztin bekommen und mein Mann fuhr mit ihm hin. Es gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie konnte ein allergisches Asthma nicht ausschließen und riet uns, ihn am nächsten Tag in die Tierklinik zum Röntgen zu bringen. Was wir natürlich auch taten.

Die Spritzen hatten diesmal kein Stück geholfen und er war in wirklich schlechtem Zustand. Während der Autofahrt, in die ca. eine halbe Stunde entfernte Klinik, machten wir uns ernsthaft Sorgen, dass er ersticken könnte. Immer wieder hielt ich ihm dieses JHP Minzöl unter die Nase. Nicht die erste Wahl bei Katzen, das weiß ich. Aber für einen Moment schien er dann jedes Mal besser Luft holen zu können.

Wir waren uns die ganze Zeit über nicht wirklich sicher, ob er nun durch die Nase nicht atmen konnte oder zusätzlich auch nicht durch den Mund. Katzen sind das nicht gewöhnt, weswegen ihm das Fressen da schon schwer fiel. 

Die Röntgenaufnahme ließ dann auch auf eine Bronchitis schließen. Um allerdings die Ursachen zu erforschen musste ein Blutbild her. Es bestand die Möglichkeit, dass er an einem der drei lebensgefährlichen Katzenviren erkrankt sein könnte und dann hätten Salem und Snowhy auch direkt behandelt werden müssen. Die Blutabnahme konnte allerdings nicht durchgeführt werden, da er vor lauter Angst und Panik und Stress bei dem Versuch bereits beinahe erstickt wäre. Die Ärzte haben dann abgebrochen und vorgeschlagen, ihn über Nacht da zu behalten. Wir wollten ihn erst nicht dort alleine lassen und lieber am nächsten Morgen wieder hin fahren, um ihn dann unter eine leichte Narkose setzen zu lassen. Allerdings ging es ihm so rapide schlecht, dass wir ihn freiwillig wieder dem Arzt übergaben.

Gestern Morgen dann gelang die Blutuntersuchung. Es steckt schon mal keine der befürchteten, lebensgefährlichen Katzenvirusinfektionen dahinter. So viel wissen wir jetzt. Mehr aber auch nicht.

Es war übrigens der Geburtstag meines Mannes. Vielleicht könnt Ihr Euch vorstellen, was für ein bescheidener Tag das diesmal war. Immerhin ist uns spätestens seit dem Besuch in der Klinik klar, dass diese Geschichte womöglich nicht gut ausgehen wird. Zum Glück hatten wir frei.  Auf die Arbeit hätte ich mich nur schlecht konzentrieren können. Wir halten zusammen, geben uns gegenseitig Halt und Trost. Machen das Beste aus der Situation. Haben leckeres Essen bestellt und den ganzen Tag Weihnachtsfilme geguckt. Das tat gut. Ich fühle mich nämlich so erschöpft, als hätte ich tagelang nicht geschlafen. 

Nach einem längeren Telefonat mit einem der behandelnden Ärzte schöpften wir jedoch besagte neue Hoffnung. Wir wollen und hoffen und glauben, dass unser Lucky gerettet werden kann. Aber wir werden ihn auch nicht quälen, weil wir nicht loslassen können. Denn wir wissen, wie sich das anfühlt. So ist es nämlich bei Gizzmoh gelaufen. Ich kann und werde hier nicht ins Detail gehen. Aber ich sage gerne so viel, dass wir Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätten, um ihn zu retten. Um jeden Preis. Wir nahmen Wochen und Monate voller Schmerz und Leid für ihn in Kauf, weil wir Hoffnung hatten. Versteht Ihr? Untersuchungen, Operationen, Klinikaufenthalte und so viel Morphium, dass er uns am Ende kaum noch erkannte. Wir haben das getan, weil wir ihn liebten. Wir lieben ihn noch heute. Aber gerade weil wir Lucky lieben, werden wir ihm so etwas nicht antun. 

Das Ziel muss also sein, dass sein Gesundheitszustand erhalten werden kann und gleichzeitig auch seine Lebensqualität. Wir werden ihn nicht jeden Tag seines Lebens Angst und Stress und Schmerzen aussetzen. Er ist sehr sehr ängstlich und sehr sehr empfindlich. Das müssen wir berücksichtigen. Das sind wir ihm schuldig. Also treffen wir unsere Entscheidungen diesmal für ihn. In seinem Sinne. So gut wir eben können.

Aber wir werden ihn auch nicht aufgeben, so lange wir keine Gewissheit in die eine oder andere Richtung haben. Also wird morgen früh eine Untersuchung an ihm vorgenommen, die sich "Lavage" nennt. Dafür wird er in Narkose versetzt, was an sich schon in seinem Zustand ein großes Risiko darstellt. Sein Herz ist stark, ein Kämpferherz. Aber seine Atemorgane sind momentan eben stark beeinträchtigt. Hoffen wir das Beste!

Bei dieser Lungenspülung jedenfalls wird eine Flüssigkeit in die Bronchien geleitet und hinterher wieder aufgefangen. Die Sekrete können so auf verschiedene Viren, Keime, Bakterien und Erreger getestet werden. Vor allem ermöglicht dies die folgende Unterscheidung: Ob wir es mit einem chronischen bzw. allergischen Asthma zu tun haben (was sehr sehr schlecht und quasi unmöglich bei ihm zu behandeln wäre) oder mit einer bakteriellen Infektion. Eine solche, selbst wenn sie sehr stark ist, könnte mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine hoch dosierte Antibiose, über einen Zeitraum von mehreren Wochen behandelt und ausgeheilt werden. Wenn die Ärzte genau wissen, mit welchem Erreger sie es zu tun haben, wissen sie auch welches Antibiotikum hilft. Wenn man es nicht mit einem resistenten Keim zu tun hat...

Also haben wir eine 50/50 Chance. Die Untersuchungsergebnisse sollten uns Anfang nächster Woche vorliegen. Bis dahin darf Lucky, wenn er die Narkose und die Untersuchung gut übersteht, morgen hoffentlich wieder mit zu uns nach Hause. Er bekäme dann ein noch nicht gezieltes Antibiotikum und Cortison, bis die Resultate bekannt sind. Wünscht uns Glück. Wünscht ihm Glück.


Freitag, 20. November 2020

Freundschaft

Dies ist (m)eine Hommage auf eine sehr besondere Form der Liebe, die mir im Leben häufig zu Teil wurde und damit wieder gut gemacht hat, was mir an Zuwendung in der Familie versagt geblieben ist.

Manchmal tue ich mir wirklich leid, so "ganz ohne Mama". Früher mehr als heute. Inzwischen sogar eigentlich kaum noch. Aber wisst Ihr was? Das wäre auch sehr ungerecht. All den Menschen gegenüber, die mir gesandt wurden. Die mich begleitet, geprägt, gestärkt und unterstützt haben. Was sie immer noch tun.

Wir alle sind irgendwie emotional verwundet, jede auf ihre Art. Aber zusammen sind wir stark. Jeff und Dodo (wie ich sie hier mit alten Kosenamen nennen möchte) waren meine Familie, als ich keine mehr hatte. Wir kannten uns aus der Schule und mit zunehmendem Alter wurden wir, aus verschiedenen Gründen, die uns dennoch verbanden, auch zunehmend aufmüpfiger. Später gehörte Mel für einige Jahre dazu, aber wir haben uns erst aus den Augen verloren und dann auch noch sehr unterschiedlich entwickelt. Was nicht schlimm ist, denn es gibt einen Part in unser beider Geschichte, der uns immer verbinden wird.

Heute darf ich eine Reihe von Frauen wahre Freundinnen nennen (und ich differenziere da wirklich sehr), die ich nur an zwei Händen abzählen kann. Was ich bei echter Freundschaft, wie ich sie definiere, als verdammt viel erachte. Denn in gewisser Weise habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Menschen. Einerseits fiel es mir nie leicht zu vertrauen. Was mir aber lange Zeit überhaupt nicht bewusst gewesen ist. Andererseits habe ich ohne Ende ausschließlich bewegend gute Erfahrungen gemacht. So dass ich so gut wie nie in die Bredouille gekommen bin, einer neuen Freundin nicht zu vertrauen. Aber ich habe festgestellt, umso näher jemand mir kam, desto eher fühlte ich mich verletzlich und begann Mauern aufzubauen. Ganz ohne mein willentliches Zutun. 

Manche kamen und gingen. Manchmal weiß man einfach, dass es für immer ist.  Beides ist okay. Dodo wird für immer meine Schwester sein. Wir hatten mal für ein paar Jahre keinen Kontakt. Wir wurden erwachsen und wir verliebten uns. Anfangs war das beängstigend, frustrierend und hat mich verunsichert. Ich war so wütend. Als ich bemerkte, dass wir uns von einander entfernten, weil wir uns in verschiedene Richtungen entwickelten und plötzlich jede ihre eigenen Erfahrungen machen musste. Aber es kam der Punkt, als wirklich Funkstille herrschte. Da stellte sich eine innere Ruhe ein, die einfach wusste, dass es nicht so bleiben würde. Ein Teil von mir, der fest mit ihr verwoben ist und sie wirklich kennt. Dieses Wesen, das wir beide gemein haben, das wir teilen, beschwichtigte mich. Es war schicksalhaft und klar, dass dies nur eine Pause sein konnte und nicht das Ende. Genauso kam es. Als wir uns nach einigen Jahren dann wieder trafen und umarmten, da fühlte es sich an, als hätten wir uns erst gestern gesehen. Wie ich schon sagte - wir sind Schwestern. Ich kann mich nicht von ihr entfremden. Irgendein Naturgesetzt verbietet das.

Und heute ist da noch Karölchen, bei ihr fühle ich das auch. Wir sind Seelenverwandte. Zwar kenne ich sie noch nicht so lange wie Dodo. Schließlich haben wir unser halbes Leben mit einander verbracht. Mal Hand in Hand und mal eher an der langen Leine. Aber dennoch weiß ich, dass dies keine vorübergehende Verbindung ist. Genauso geht es mir mit meinen verrückten Tanten. Falls Euch das nicht auf Anhieb etwas sagt: Ich rede von Ash und Trish und Ana und dem verrückten Onkel - Jo. Wir haben da so ein Ding am Laufen. Was andere einen Zufall nennen würden, bezeichne ich als Schicksal. Alleine wie wir uns gefunden haben, das wäre eine Geschichte wert. Eine sucht spirituell gleichgesinnte Frauen, die andere schreibt ein Buch. Die Erste liest es und will Kontakt zu der Autorin aufnehmen. Die aber inzwischen ein Forum aus Ihrer ursprünglichen Homepage gemacht hat... Der Rest ist Geschichte. Eine, die nicht erst in diesem Leben begonnen hat, uns aber in vielen zu einander geführt hat.

Wir sind verbunden, hängen am selben Faden. Für immer. Das ist echte Liebe. Da darf es auch mal Meinungsverschiedenheiten geben, Zickenkrieg, Verletzungen und Streit. Echte Freundschaft übersteht sowas nämlich. Ist Euch das klar? Sie lebt viel mehr von Wahrheit und Liebe. Auch davon, dass man sich gegenseitig unterstützt und verteidigt, bis aufs Blut. Aus reiner Überzeugung, mehr als aus Vernunft. Weil der Tag nämlich kommt, wo man sich in die Augen sieht und weiß, dass kein Hindernis so groß ist wie das, was man an einander hat. Eine solche Beziehung ist so natürlich wie atmen. Nichts kann wirklich dazwischen kommen.

Ich darf das sagen, weil ich weiß wovon ich rede. Zumindest will ich glauben und hoffe inständig, dass es so ist. Mit einer meiner Freundinnen hatte ich vor einem Jahr ungefähr so eine Zerreißprobe. Es ist unschön abgelaufen. Ich war verletzt, die Situation ist mir entgleist und hinterher schämte ich mich. Denn sie war verletzt. Und das tat unglaublich weh. Aber ich erkannte, wie sehr ich sie nach wie vor liebte. Ihre Tränen weckten mich auf. Was ich bereits verloren geglaubt hatte. Und dafür bin ich dankbar. Was passiert ist, das hat mir die Augen geöffnet. Und vielleicht hat es uns beide wieder auf Kurs gebracht, zu einander.

Wisst Ihr, es ist so unglaublich wertvoll zu wissen, dass man nie allein sein wird. Egal was geschieht. Deine Schwestern werden da sein und Dich auffangen. Es kann noch so schlimm kommen. Da wird ein Schoß sein, der Dich auffängt. In den Du Dich legen und stunden- oder tage- oder wochenlang weinen darfst. Du hast diese tief verwurzelte Gewissheit. Weil Du geliebt wirst. Weil Du jemandem wirklich viel bedeutest. So viel, dass er all dies in Kauf nehmen würde. Das Leid, den Schmerz, den Kummer, die Trauer, die Angst, den Ruin. Alles.

Ich beschreibe das seit jeher gerne so: Da ist jemand, den Du um drei Uhr nachts anrufen kannst. Weil Du jemand anderen umgebracht hast (aus gutem Grund, okay). Im Ausland. In Übersee. Und Du brauchst wiederum jemanden, der Dich außer Landes schafft. Mitten in der Nacht. Der Dich zurück holt, auffängt und Dir ein Alibi bietet. Du bist verzweifelt und Deine Zukunft liegt in Scherben. Du kannst kaum klar denken, geschweige denn Dich deutlich auszudrücken. Aber da ist dieser Mensch -  oder im aller schönsten nur möglichen Fall sogar mehrere - der für Dich da ist. Der versteht, wie schlimm die Lage war. Und er kauft ein Ticket und hält Dich ganz fest und er bringt eine Schaufel mit. Bzw. sie. Wisst Ihr was ich meine?

Ja. Ich behaupte, ich bin so gesegnet, dass ich gleich mehrere solcher Freundinnen habe, die das für mich tun würden. Weil sie mich so gut kennen. Weil sie wissen, dass ich so etwas Schlimmes nicht ohne guten Grund tun würde. Und die mich für wertvoll genug halten, mich zu beschützen. Ob ich das gleiche tun würde? Oh ja. Für jede einzelne von ihnen. 

Natürlich gibt es verschiedene Arten von Freundschaften. Es gibt die mit denen Du gut lachen, reden oder feiern kannst. Diejenigen mit denen Dich ein gemeinsames Hobby oder eine wichtige Überzeugung verbindet. Die Vergangenheit vielleicht. Und dann gibt es noch die mit denen Du alles davon machen kannst. Die Dich vollkommen so lieben und akzeptieren wie Du bist. Mit all Deinen Facetten. Die Zicke, die Drama-Queen, die Nervige, die Schwaflerin, die Besserwisserin, die Lustige, die Saufziege, die Verbohrte - alles an Dir. 

In so einer Freundschaft ist man sich der anderen sicher. Auf die gute Art. Nicht weil man sie als etwas nebensächliches, selbstverständliches ansieht. Sondern als tatsächlich selbstverständlich. So normal im eigenen Leben und an der eigenen Seite, wie die Luft zum Atmen. Dann singt und lacht Ihr womöglich wie im Film, wenn Ihr zusammen im Auto sitzt und irgendwo hin fahrt. Es ist diese kitschige Art von Freundschaft, wo man sich womöglich sogar Tattoos stechen lässt, manchmal im Partnerlook herum läuft oder ein gemeinsames Lied hat. Ihr lacht viel zu laut und habt diese Insider-Witze. Es ist wie eine Standbildaufnahme aus Teenagerzeiten. Ihr kichert und lästert und Ihr seid wie lebendige Tagebücher von einander. Ist das nicht großartig? Was für ein Geschenk.

Für Dodo habe ich mal den Song "Just be good to me" von Karmah aufgeschrieben, dann noch ins Deutsche übersetzt. Ich liebe dieses Lied. Ich werde es immer lieben und dazu mit meinem Mann tanzen und mit meinen Freundinnen und ich werde es laut mitsingen. Aber es gehört Dodo und mir. Ähnlich ist es bei "Hungry Eyes" von Dirty Dancing. Ihr wisst schon. Das ist Karölchen. Wenn ich das höre, dann stehe ich plötzlich irgendwo im Halbschatten und Diso-Lichter-Flimmern mit ihr auf der Tanzfläche. Wir tanzen langsam und singen mit und gucken uns dabei in die Augen und wir sind so ernst. Und gleichzeitig lachen wir und lächeln und machen diese verrückten Gesten. Das sind wir. Für immer.

Mädels haben einfach diese Art von besten Freundinnen. Männer ticken da anders, habe ich das Gefühl. Wir reden miteinander. Offen und allumfassend und aufrichtig. Und wir lassen nichts aus. Bis uns leichter wird ums Herz und wir wieder sicher sind, dass das Leben gut ist. Dass alles gut wird. Wir reden tiefgründig. Und wenn wir Freundinnen sind, die sich ganz auf einander eingelassen haben, dann halten wir nichts zurück. Wenn wir uns lange und gut genug kennen, wenn das Vertrauen gewachsen ist. Dann heilen wir uns auf diese Art. Das macht uns stark. Wir sind wie Spinnen mit einem eigenen Netz. Auch wenn ich diese Tiere zutiefst gruselig und grässlich und Angst einflößend finde, der Vergleich ist stimmig.

Ich erinnere mich gut daran, was für ein unschlagbares Gespann Jeff und Dodo und ich damals gewesen sind. Was für Höhen und Tiefen wir erlebt haben. Wie wir mit einander und nebeneinander her erwachsen geworden sind. Was für Geheimnisse wir hatten und auch wie wir zu einander gestanden haben. Ich werde nie vergessen, wie ich am Wochenende immer diese Spaghetti Bolognese für uns gekocht habe. Mit viel billigem Rotwein an der Sauce. Wir waren so verdammt jung. Wenn wir uns eine Weile nicht gesehen und dazu getroffen hatten, dann vermissten sie das schnell. 

Das war aber nicht der Punkt. Um unser Vertrauensverhältnis vertiefend zu beschreiben: Beide hatten Schlüssel zu meiner Wohnung und eine Bankkarte von meinem Konto. Ich lebte schon (aus meiner Sicht) sehr früh allein und musste für mich selber sorgen. Ich arbeitete lange Zeit rund um die Uhr, um Miete und meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wenn ich nach einem Zwölf-Stunden-Tag erschöpft nach Hause kam, wartete mehr als einmal ein warmes Essen auf meinem Tisch. Die Wohnung war aufgeräumt worden und sie hatten eingekauft, damit ich keinen leeren Kühlschrank vorfinden musste. Denn an den Wochenenden hatte ich einen Nebenjob als Kellnerin in einer kleinen Diskothek. Über ein Jahr lang habe ich an sieben Tagen in der Woche geschuftet und zusätzlich in zwei vollen Nächten. Dies bedeutete, dass ich von Freitagmorgen bis Sonntagabend in der Regel keinen Schlaf hatte. Gerade einmal die Gelegenheit zum Duschen und Umziehen. Aber meine Katzen waren versorgt. Obwohl ich in dieser Phase meines Lebens oft nicht mit zum Feiern kommen konnte. Denn wir waren Freundinnen.

Den Millennium-Jahreswechsel habe ich ebenfalls hinter der Theke verbracht. Bis 9.30 Uhr am nächsten Morgen. Natürlich war ich erst 20 Jahre alt und hätte gern mit meiner Clique gefeiert. Aber mein Chef brauchte auch sein verlässliches Personal für diese herausfordernde Nacht. Ich stand dort mit Tränen in den Augen, als plötzlich fast die Hälfte der Party-Gemeinde einmarschierte, die diese besondere Nacht gemeinsam verbracht hatte - ohne mein Beisein. Sie kamen zu mir. In die Nachbarstadt. Mitten in der Nacht. Oder am frühen Morgen der ersten Nacht im Jahr 2000, besser gesagt. Könnt Ihr verstehen, was mir das bedeutet hat?

Ich wurde aus dem Nest geworfen, als ich 16 Jahre alt war. Nicht nur, dass sie mit einander nicht klar kamen. Sie hatten wohl auch ihre Entscheidung zur gemeinsamen Elternschaft revidiert. Und das nach 25 Jahren Beziehung. Dafür mache ich ihnen keinen Vorwurf. Ich weiß und ich wusste, wie kaputt diese Verbindung war. Aber mich gab es auch noch. Bloß fühlte sich für diese Tatsache niemand mehr verantwortlich. Seit dieser einen Nacht im Sommer 2016, der Nacht vor meiner Schulentlassung. Sie sollte mein Leben nachhaltig verändern.

Jetzt, 24 Jahre später, will ich darüber nicht mehr jammern. Aber damals war mir lange Zeit danach zumute. Versteht Ihr das? Könnt Ihr das nachvollziehen? Wenn Du von einem auf den anderen Tag nicht mehr die verwöhnte Prinzessin bist, sondern ein Mädchen, das vor die Wahl gestellt wird, alleine für sich zu sorgen oder in ein Heim zu ziehen? Die ganze Welt bricht zusammen, oh ja. Ich denke sie konnten und wollten das wohl einfach nicht mehr. Als sie geheiratet haben, da waren sie selber nicht viel mehr als Kinder gewesen. Aber sie trafen diese Entscheidungen nicht für sich alleine. Da war noch jemand. Und dieses Mädchen fiel hinten rüber. Es wurde in einen Krieg hinein gezogen, den es zwar ansatzweise nachvollziehen, aber nie wirklich verstehen konnte.

Egal. Darum soll es hier und heute nicht gehen. Ich versuche lediglich Euch das Gewicht von Freundschaft begreiflich zu machen, wie es in meinem Universum besteht. Meine Oma und mein Opa lebten zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr (mütterlicherseits - väterlicherseits gab es leider nie einen echten Bezug - diese Familie war selber zutiefst zerstört und verkorkst). Ich war nach über der Hälfte meines jetzigen Lebensalters bereits von so viel Tod umgeben gewesen, dass es für ein ganzes Leben gereicht hätte.

Ohne meine Freundinnen und ihre eigenen Eltern, die fortan wie automatisch Verantwortung für mich übernahmen, wäre ich heute vermutlich nicht dieselbe. Dodos Papa hatte seine eigenen gesundheitlichen Kreuzchen zu tragen. Aber er renovierte meine Wohnungen und half bei den Umzügen. Er tapezierte, strich Wände und baute Möbel zusammen. Und an Weihnachten saß ich mit am Tisch von Dodos Familie. Ohne dass sie mir ein Gefühl vermittelt hätten, nicht dazu zu gehören. Diese Dimension von Dankbarkeit lässt sich kaum in Worte fassen. 

Aber ich richte diese Worte auch an meinen Freundeskreis oder meine Clique in meinem Dorf. Wo ich heute lebe. Zehn von vierzehn bodentiefen Fenstern unserer Wohnung blicken auf einen verwaisten Fußballplatz. Einen Platz, an dem wir uns eigentlich an den Wochenenden begegnen. Aber ich kann Euch nicht sehen. Gerade nicht. Nicht jetzt. Und ich darf Euch nicht berühren. Nicht einmal dann, wenn wir uns zufällig auf dem Parkplatz des Supermarkts über den Weg laufen. Also schreibe ich diesen Beitrag. Auch an Dich, J. Die Du so wenig Nähe zulässt.

Freitag, 30. Oktober 2020

Happy Halloween (oder so)...!

Was für ein Jahr, was für eine Zeit. Keine Party diesmal. Keine traditionelle Feier. Kein Treffen. Und dennoch ein Fest. Nichts von dem, was ich erwartet hätte oder das ich geplant habe, trifft ein. Corona hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie so vielen. Jedem eigentlich irgendwie.

Im ersten Lockdown haben wir beschlossen, das Beste daraus zu machen und die "geschenkte Zeit" zu nutzen. Diesen Sommer haben wir deshalb unser Wohnzimmer komplett renoviert. Streichen und neuen Boden verlegen lassen, die Hälfte der Möbel unten ersetzt. Für die Herbstferien hatten wir es ähnlich im Esszimmer und der Küche geplant. Ein Abwasch und fertig. Wieder Ruhe in den nächsten Jahren. Zumal die Rundumerneuerung dringend notwendig wäre.

Ihr kennt das: Neben der Arbeit, dem Freundeskreis, der Freizeitverpflichtungen und alle dem, bleibt einfach für diese grundlegenden Dinge häufig keine Gelegenheit. Nicht weiter schlimm. Kommt schon irgendwann, dachten wir uns. Und sollten Recht behalten mit dieser Einschätzung.

Dennoch ergab es sich anders. Der zweite Lockdown ist da, die nächste, für die dunkle Jahreszeit prophezeite Welle, hat uns erreicht. Aber unser Malermeister hatte für unsere Urlaubswoche im Herbst bereits einem anderweitigen Auftrag zugesagt. Insofern mussten wir die weiter führenden Renovierungspläne in das kommende Jahr verlegen. Ganz ehrlich gesagt bin ich eigentlich froh darüber. Nachdem wir bereits im Sommer quasi keinen Urlaub gehabt hatten, weil eben fast die gesamten zwei Wochen für unsere Maßnahmen drauf gegangen waren.

Man besitzt gar keine Vorstellung davon, was man alles im Laufe der Jahre angesammelt hat. Bis man einmal vor der Herausforderung steht, das Ganze anzufassen. Wortwörtlich. Einen Teil in Umzugskartons zu verpacken und im Hausflur zu stapeln. Die andere Hälfte auszusortieren und in blauen Säcken zum Betriebshof zu fahren.

Dann das Putzen und wieder Einräumen und Aufbauen neuer Möbel. Der Urlaub war um, ehe wir es uns versahen und schon ging es wieder an die Arbeit. Eigentlich wäre ich da erst recht urlaubsreif gewesen. Müde und kein bisschen ausgeruht. Aber natürlich unglaublich glücklich. Alles war neu und sauber. Unser Wohnzimmer hatte sich komplett verwandelt. Insofern sind unsere Mühen mehr als belohnt worden. Dennoch braucht der Körper irgendwann seine Auszeit. Und auch der Geist schmachtet nach Erholung. 

Sprich: Wir haben die Gelegenheit dankbar angenommen, einfach mal buchstäblich Nichts zu machen. Wie man das so schön sagt jedenfalls. Geputzt, eingekauft und gegessen werden muss ja trotzdem. Wobei ich eingestehe, das hat was. Ich finde es schön, mal wirklich Zeit zum Kochen zu haben. Für all die Gerichte, die sonst so gut wie nie auf den Tisch kommen. Weil Kartoffeln schälen und Rouladen schmoren usw. einfach so lange dauert.

Für mich waren diese Herbstferien ein großartiges Highlight. Ich hatte mir vorab sechs neue Bücher bestellt und einen Vorrat meines Lieblings-Rotweins angelegt. Konnte joggen gehen, wann immer ich Lust und Laune dazu hatte - wenn das Wetter es für meinen Geschmack zuließ. 

Sobald ich realisiert hatte, dass auf Grund der aktuellen Lage keine Halloween-Partys stattfinden würden, war ich auf eine traditionelle Feier im kleinen Rahmen umgeschwenkt. Früher habe ich meist mit meinen "verrückten Tanten", also meinen spirituell gleich gesinnten Freundinnen, dieses große Fest begangen. Einen Feiertag, der mir persönlich sehr viel bedeutet. Ahnengedenken. Der Hexen Winteranfang. Ganz früher einmal sogar ist es das Neujahrsfest gewesen. Weil einfach alles in der Dunkelheit, der tiefsten Finsternis, beginnt. 

Da wir jede in unserem bunten Haufen allerdings ein Stückchen entfernt voneinander wohnen, war klar, das käme auch nicht in Frage. Die eine hat ein kleines Kind, mehrere von uns sind gesundheitlich vorbelastet. Das wäre einfach nicht vernünftig gewesen. Auch die Gedanken an eine Party mit Freunden aus dem Dorf und sogar eine Verabredung im kleinen Kreis wurde verworfen. Ich habe einfach zu großen Respekt oder besser gesagt, Angst vor dieser Seuche. 

Viele unserer Freunde bzw. meiner Freundinnen verstehen meine Bedenken und teilen sie. Die meisten sorgen sich aktuell, vernünftigerweise, hinsichtlich ihrer eigenen Situation. Das Einkommen, welches nicht mehr gesichert wäre, wenn die selbständige Tätigkeit auf Grund von zweiwöchiger Quarantäne nicht mehr ausgeübt werden könnte. Das Kleinkind, das womöglich noch nicht widerstandsfähig genug wäre, um eine solche Virusinfektion zu überstehen. Die immunschwächende Vorerkrankung, die einen schweren Verlauf begünstigen würde.

Andere Freunde werden sich vermutlich trotz allem treffen und gemeinsam feiern, ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich gönne ihnen die Freude und den Spaß von Herzen. Hoffe aber, dass sie auf sich achten werden und gesund bleiben. Falls wirklich welche zusammen kommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich wie schwer das ist. Den Abstand einzuhalten und sich nicht in den Armen zu liegen, gerade wenn Alkohol im Spiel ist. Aber jeder von uns muss für sich selber Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, die das eigene Leben angehen.

Ich weiß auch, dass nicht jede von Euch meine Ängste nachvollziehen kann. Wisset, ich nehme diese Sache sehr ernst. Verdammt ernst sogar. Ich liebe mein Leben und die Menschen, die ich eben liebe. Nicht nur Menschen. Aber Ihr wisst, was ich meine. Katzen treffen sich nun einmal nicht in Kneipen und feiern Partys.

Ja Leute, auch das bin ich. Nehmt mich so oder lasst es. Ich bin ernsthaft und besorgt und ich versuche zu beschützen, was mir wichtig ist. Ich versuche zu leben, mit denen die ich liebe, so lange und so gut, wie ich kann. Dieses Leben ist mir heilig. Ich werde es auskosten, so lange und so gut, wie ich kann.

Auch das bin ich. Wenn ich schreibe, dann lasse ich alles los. Ich zeige mich verwundet und verletzlich und echt. So wie ich bin. Auch all die anderen Gesichter, die ich zeige, gehören wirklich zu mir. Die sorglose, lustige, total verrückte Ramona. Aber wenn ich schreibe, dann öffne ich mich anders. Ich lege alles frei, was ich fühle. Nehmt es oder lasst es. Liebt es oder hasst es. Aber das bin nun einmal ich. Freundschaft ist mehr als feiern und lachen. Es bedeutet auch leiden und weinen und umarmen und verstehen. Akzeptieren wie jemand ist. Und zwar im Ganzen. Und manchmal, neuerdings, bedeutet es wohl auch, sich nicht zu umarmen und sich nicht zu sehen. Jetzt gerade besteht der größte Freundschaftsdienst wohl darin, nicht zusammen zu sein.

Was ich grundsätzlich nie tue, ob ich nun rede oder schreibe, ist lügen. Ich habe genug Lügen für ein ganzes Leben gehört. Mein ganzes halbes Leben war eine Lüge. Wenn die Situation es meines Erachtens nach erfordert, dann formuliere ich eventuell sehr wohl überlegt. Weil ich niemanden verletzen will, der mir etwas bedeutet. Oder weil es nötig ist, beruflich vielleicht. Dann verhalte ich mich taktisch klug. Aber richtig lügen, eine Tatsache vortäuschen, die mir bzw. (m)einer Wahrheit nicht entspricht, das mache ich nicht. Ich verurteile Lügen. Sie sind mir ein Graus. Ich weiß auch woher das kommt. Die Ursache liegt in meiner Kindheit, in meiner Jugend vergraben. Deshalb werde ich niemandem antun, was man mir zugefügt hat. 

Und ich hoffe, dass meine kleine Schwester niemals auch nur annähernd so viele Lügen wird hören müssen, wie ich es musste. Ich wünsche mir von Herzen, dass sie nie erfahren wird, was ich über meine Mutter lernen musste. Weil das bedeuten würde, dass es einen Fortschritt gegeben hat. Eine Entwicklung. Deshalb werde ich sie auch nie diese Wahrheiten wissen lassen. Weil meine Wahrheit nicht zwangsläufig ihre sein muss. Es besteht die Möglichkeit, dass sie unter ganz anderen Voraussetzungen als ich, nicht nur aufwächst, sondern sich auch wird entfalten können. Daran möchte ich glauben. Dass diese eine Mutter nicht zweimal denselben Fehler machen wird. Dass dieses zweite Mädchen in einer Realität erwachsen werden darf, die ihrer größeren Schwester nicht vergönnt war. Weil ich sie liebe. Obwohl wir uns kaum jemals kennenlernen konnten. Und weil ich glauben möchte, dass das möglich ist. Denn ich bin nicht nur verlassen worden. Von dem einzigen Menschen, dem Naturgesetz-gemäß ich hätte auf ewig vertrauen dürfen sollen, wie keinem zweiten in der Welt. Ich bin auch verraten worden. Immer wieder. Etwas, das ich nie verstehen werde. Wie sehr ich mich auch bemühe. So sehr auch Therapeuten und schlaue Menschen versucht haben, mir zu erklären. Wir sind wie Schneewittchen und die böse (Stief-)Mutter. Aber ich werde nie verstehen oder akzeptieren können, wieso. Ich kann mir nur für den Lauf der Welt und den weiteren Verlauf meiner Familiengeschichte wünschen, dass sie sich nicht wiederholen wird. Und ich glaube das hat es auch nicht. 

So viel mal kurz zum Ahnengedenken und dem Drüber-Nachdenken, über die eigene Geschichte. Über die Gene. Über das, was mich zu der gemacht hat, die ich heute bin. Worüber ich wiederum froh sein darf. Denn all das hat mich geformt zu der Person und dem Charakter, der mich heute ausmacht. Hat mir die Werte vermittelt, die ich vertrete und für die ich einstehe. 

Warum ich das jetzt alles hier erzähle? Keine Ahnung! Wir leben im Jahr 2020, Leute. Und das ist anscheinend mein Medium. Wenn ich schreibe, dann lasse ich einfach alles frei fließen, was mir gerade durch den Kopf kommt. Manchmal denke ich, dass ich gar nicht richtig bewusst selber schreibe. Aber egal. Das mit dem Unterbewusstsein ist auch eine sehr spannende Sache. Auf die ich gerne später einmal gesondert eingehen werde. 

Wie auch immer Ihr feiern werdet oder auch nicht. Ob Euch die Ahnenzeit etwas bedeutet oder auch nicht. Ich wünsche Euch ein gesegnetes Samhain, ein fröhlich-schauriges Halloween und vor allem wünsche ich uns allen Gesundheit. Und Heilung.





Schön war´s mit Euch, im letzten Jahr....

Dienstag, 27. Oktober 2020

Die Sache mit dem Bewußtsein

Ich hatte bereits in meinem letzten Beitrag erwähnt, für wie wichtig ich dieses Thema grundsätzlich halte. Und zwar in jeglicher nur vorstellbaren Hinsicht. Sich bewusst zu sein was man tut, was man unterlässt, wie man isst, denkt, fühlt, konsumiert. Woher Vorlieben und Abneigungen stammen, woraus die eigenen Glaubenssätze und Verhaltensmuster resultieren, ist der Schlüssel zu so gut wie jeder Lebenslage. Angefangen bei den essentiellen Überzeugungen, bis hin zu den sehr persönlichen Belangen, wie beispielsweise der Art unsere Freundschaften und andere Beziehungen zu führen bzw. pflegen.

Das Problem mit dem bewusst-sein heut zu Tage ist, dass wir leider zu häufig im Autopiloten-Modus durch unser Leben hetzen. Wann hast Du das letzte Mal ganz bewusst Deinen Arbeitsweg wahrgenommen? Dich wirklich umgesehen, meine ich. Wann hast Du zuletzt Dein Frühstück richtig geschmeckt? Seine Textur, den Duft, die Temperatur... Klar, vieles blenden wir wie von selbst aus, weil wir sonst regelrecht wahnsinnig werden würden. Angesichts der Reizüberflutung durch die Medien, vom Geräuschpegel des Verkehrs. Der Hintergrundbeschallung, weil es überall dudelt und piepst und rattert und plappert. Hat also auch was mit Selbstschutz zu tun. Aber eben auch nur, wenn Du ganz bewusst die Ohren zusperrst, Scheuklappen aufsetzt und Dich in Deinen Tunnel begibst.

Ich selber schaue seit über zwanzig Jahren keine Nachrichten und lese auch nicht die Tageszeitung. Das hat etwas mit Gedankenhygiene zu tun. Ich mache das, um mein Herz, meine Seele und meinen Verstand zu schonen. Es ist mir nämlich ganz ehrlich alles viel zu viel, was in der Welt so passiert.

Aber ehrlich: Das meiste erscheint heute schnöde und selbstverständlich, alltäglich, unspektakulär. Nichts wird mehr wirklich wahrgenommen und in Folge dessen wertgeschätzt. Diesen Eindruck habe ich gewonnen und bestätigt bekommen. Von der Tsunami-mäßigen Welle an Achtsamkeits-Ratgebern, Apps, Meditations-Kursen und Selbstfürsorge-Helfern, die wir inzwischen beinahe alle brauchen. Um auf den Boden der Tatsachen zurück zu kehren, uns selbst zu finden, uns auf das Wesentliche zu besinnen. 

Jeder schreit nach Freiheit und betont gleichzeitig, wie gut es uns in der heutigen Zeit, dieser hoch technisierten, durchaus wohlhabenden Welt, doch allen geht. Freiheit fängt aber mit einem selbstbestimmten Leben im Kleinen bereits an. Selbstbestimmtes Handeln und die Freiheit, seinen Alltag nach den eigenen, sehr individuellen Bedürfnissen ausrichten zu können. Das ist die Wurzel der Zufriedenheit. Lasst uns erstmal dahin finden, bevor wir nach den Sternen greifen.

Wie oft hast Du das Gefühl, nur noch auf Anforderungen zu reagieren, die von Außen an Dich heran getragen werden? Wann agierst Du jemals aus Dir selbst heraus? Indem Du einem Impuls folgst, einer spontanen Eingebung nachgibst. Vermutlich hast Du "keine Zeit", um kurz entschlossen den Tag im Bett zu verbringen, spazieren zu gehen oder Dir aufwändig einen frischen Eintopf zu kochen.

Ich verstehe das, mir geht es selber häufig nicht anders. Strukturen und feste Regeln finde ich auch an sich sehr wichtig. Sie sind durchaus sinnvoll.  Sie geben Halt und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Arbeitszeiten, Pausen, Sport, Verabredungen, Termine nach Kalender. Hat alles seine Daseinsberechtigung. Ordnung muss sein. Ehrlicherweise bin ich sogar ein extrem organisierter, aufgeräumter Typ. Ohne geregelten Tagesablauf wäre ich echt aufgeschmissen. Grundsätzlich bin ich also ein Fan von Planmäßigkeit.

Worauf es ankommt - der kleine aber gravierende Unterschied, ist ob Du frei entscheiden kannst, aus Deinem Korsett auch mal auszubrechen (oder ob Du nur denkst, Du könntest es nicht?). Ob Dir überhaupt klar ist, dass Du in einem steckst. Da darf ich persönlich mich wahnsinnig glücklich schätzen: Mir ist das so möglich, wie es in einem festen Arbeitsverhältnis nur geht. Ich sitze jetzt bald schon seit zwei Jahren im Homeoffice und kann mir sogar meine Zeit so einteilen, wie es für mich am besten passt. Dass ich am liebsten jeden Tag um 7.00 Uhr anfange und um 16.00 Uhr Feierabend mache, habe ich mir selbst ausgesucht. Wie viel mehr an Lebensqualität ich dadurch gewonnen habe, kann ich kaum beschreiben. Meine Firma und mein Chef sind da also sehr modern und Mitarbeiter-freundlich eingestellt. Das ist ein echtes Geschenk. Ich weiß, dass so ein Arbeitsmodell leider nicht überall möglich ist oder dem gängigen Standard entspricht. Deshalb bin ich wirklich dankbar und weiß die Bedingungen umso mehr zu schätzen. Seit dem genieße ich den Luxus einer echten Work-Life-Balance.

Berufstätigkeit ist aber auch lang nicht der einzige Punkt auf der Agenda. Viel Zeit im Job zu verbringen und für den eigenen Erfolg zu arbeiten, fleißig zu sein, das ist doch prima. Wenn es uns wichtig ist. Wenn wir das machen, weil wir es möchten. Wenn es unseren Zielen und Vorstellungen von einem erstrebenswerten Leben entspricht. 

Hast Du eigentlich Ziele? Weißt Du, was Dir wirklich wichtig ist? Hast Du jemals definiert, wofür Du das alles machst? Das Bewusstsein über diese drei Punkte, wird nämlich Deine Entscheidungen und somit Dein Verhalten, nachhaltig verändern. Weil Du dann nicht mehr die Erwartungen von irgend jemand anderem stumpf erfüllen wirst. Sondern anfängst zu überlegen ob die überhaupt mit Deinen eigenen übereinstimmen.

Die meisten Menschen sind insgesamt so dermaßen gefangen. Wir haben uns teils selbst eingesponnen und regelrecht verheddert. In einem Kokon aus Verpflichtungen, Zusagen, ehrenamtlichen Tätigkeiten, Familienwahnsinn, Hausarbeit und auch Freizeitstress. Häufig merken wir das erst, wenn wir bereits kurz vom Zusammenbruch stehen. Oder bereits zusammengebrochen sind. Den größten Teil von alle dem machen jedoch die eigenen Erwartungen aus. In der Regel ist uns das nicht klar. 

Alles muss immer unbedingt. (Wer sagt das? Was passiert sonst? Stirbt jemand?) Lockerlassen ist unmöglich, weil ungewohnt. Dafür wäre es nötig, die Komfortzone zu verlassen und das macht Angst. Was die anderen wohl denken könnten, wann soll ich das statt dessen erledigen, das macht man doch nicht, andere schaffen das doch auch... Wir Menschen sind sehr kreativ darin, Ausreden oder Begründungen für unsere eigene Unfähigkeit zur freien Lebensgestaltung zu (er-)finden.

Und schon sitzen wir drin in der Falle, wo wir etwas nicht mehr bewusst oder aus freien Stücken heraus tuen. Sondern weil wir es so gewohnt sind, weil es von uns erwartet wird, weil wir es so vorgelebt bekommen. Wir denken gar nicht mehr darüber nach, sondern machen automatisch. Das ist nicht immer schlecht, wie gesagt. Aber viel öfter mal innehalten und kurz überlegen oder zumindest klar machen, WARUM wir das JETZT so oder so machen, könnte allein schon viel verändern. Weil wir dann nämlich in die Entscheidungsfreiheit kommen, die wir ansonsten gar nicht sehen.

Wenn ich mich bewusst entschließe, heute mein Bad zu putzen, weil es mir nicht mehr sauber genug ist und ich mich ansonsten unwohl fühle. Dann ist das eine ganz andere Ausgangssituation - deutlich  besser und befriedigender, als es nur zu erledigen, weil es auf meiner To-do-Liste steht. Diese Erfahrung habe ich gemacht. Dann habe ICH nämlich diese Entscheidung getroffen. Und plötzlich ergibt die Schrubberei wirklich Sinn. Ich fühle mich nicht mehr so gezwungen. Ich könnte es nämlich auch bleiben lassen. Nur dann muss ich eben mit dem Staub und den Kalkflecken und den nicht mehr frischen Handtüchern leben.

Natürlich hat es viele Jahre gedauert, dies überhaupt zu begreifen und dann auch noch für die Zukunft zu verinnerlichen. Das brauchte körperliche und seelische Erkrankungen, Therapien, viel Übung und vor allem die Bereitschaft, mich zu verändern. Meine Gewohnheiten. Auch mal Nein zu sagen. Was deutlich schwieriger ist als ein braves Ja, aber lohnenswert. Als ich einmal gelernt hatte mich in einem Bereich zu hinterfragen, fiel mir mein Verhalten, die Fixierung auf das Muss, auch in anderen Belangen auf. Mir wurde mein Pflichtbewusstsein und der Hang zum Perfektionismus klar. Disziplin halte ich nichts desto trotz immer noch für eine gute Eigenschaft. Ich bin ordentlich und zuverlässig und erledige meine Pflichten. Aber zum Teil aus anderen Beweggründen als früher.

Und wenn ich mich wieder dabei ertappe, wie ich dies und jenes unbedingt noch muss, dann sage ich mir: "Ich kann machen was ich will". Denn so ist es. Dann grinse ich diebisch und mir wird sofort leichter ums Herz.

Ein weiterer Punkt auf der Bewusstseins-Agenda ist die klare Unterscheidung zwischen Wissen und Tun. Im Idealfall führe ich mir meine Überzeugung vor Augen, die ich mir unter Berücksichtigung aller Fakten gebildet habe - und lasse dann meinen Worten Taten folgen. In einigen Lebensbereichen jedoch kann das ganz schön tricky sein und vor eine echte Herausforderung stellen. Ein gutes Beispiel hierfür ist in meinem Fall die Sache mit der Ernährung. Ich habe in den letzten Jahren viel darüber gelernt und aus verschiedensten Beweggründen angepasst bzw. umgesetzt. Teils, weil ich (sehr bewusst und gewollt) auf meine schlanke Linie achte und andererseits, weil ich 2012 die Diagnose Morbus Crohn gestellt kam. Das hat einiges mit sich gebracht. Beides sind Themen, auf die ich gern zu gegebener Zeit noch näher eingehen möchte. 

Eine Sache, der ich aus meiner Sicht bisher noch nicht ausreichend gerecht werde, ist die fleischfreie Ernährung. Jeder, der vegan oder vegetarisch lebt, hat meines Erachtens nach vollkommen Recht mit seiner Entscheidung. Dennoch reichte es für mich selbst bislang nicht, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich habe 1000 Ausreden. Die Sache ist die - ich weiß, dass es Einwände sind. Welche, die zwar den Tatsachen entsprechen, aber eigentlich meine Schwäche in diesem Punkt demonstrieren. Auch auf dieses Thema möchte ich später noch in einem eigenen Artikel separat eingehen. Worauf ich hier nur hinaus will: Ich weiß genug, um mir eine objektive Meinung gebildet haben zu können, die meinen moralischen Werten und Vorstellungen von der perfekten Welt entsprechen würde. Das ist wichtig. Mir ist bewusst, dass ich nicht wirklich eine überzeugte Verfechterin des Fleischessens, der Massentierhaltung und all der Grausamkeiten bin. Ich esse nicht deshalb noch tierische Erzeugnisse, weil ich keine Ahnung habe. Ob es das jetzt besser oder schlimmer macht, sei mal dahin gestellt.

Wir Menschen sollten zumindest wissen was wir, durch unser Tun oder auch durch unser Unterlassen, in Kauf nehmen. Was wir unterstützen oder auch nicht und vor allem, aus welchen Gründen. Natürlich ist jede Gewissensfrage dann am härtesten, wenn wir genau informiert sind. Deswegen: Entscheide Dich dafür, entweder alle Tatsachen in ausreichendem Umfang zu kennen. Alternativ triff die bewusste Entscheidung, es aus mindestens einem tief reichenden, persönlichen Grund nicht zu wollen oder können. Aber renne nicht blind durch Dein Leben, den Supermarkt, die Werbeprospekte, zur nächsten Wahl. Entscheide wofür Du einstehen willst und in welchen Bereichen Du das lieber anderen überlassen möchtest. Keiner von uns kann allein die ganze Welt retten. Also suche Dir einen Teilbereich aus, den Du beeinflussen kannst und für den Du die nötige Energie aufzubringen vermagst. Wenn jeder etwas macht, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter.

Es gibt genug zu tun da draußen: Wir haben die freie Auswahl zwischen Tierschutz, Nachhaltigkeit, Politik usw. Um mal nur einige prägnante Schlagworte ins Rennen zu schicken. Jeder von uns kann im Großen oder Kleinen etwas bewegen. Je nachdem, welche Möglichkeiten wir haben, welche Plattform wir bespielen, wo unsere persönlichen Fähigkeiten und Prioritäten liegen. Und es gibt ebenso viel zu tun für uns selber. Die oberste und gravierendste Verantwortung tragen wir nämlich zu aller erst für uns allein. Ganz egal jedoch, ob Du etwas für Dich oder die ganze Welt bewegen möchtest: Lasse alles in Deinem eigenen Tempo geschehen. Sonst ist Dein Vorhaben von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Jeder Schritt ist besser als nichts. Es spielt keine Rolle, ob es dabei ums Mülltrennen, die Vermeidung von Plastik, Sport oder ein Ehrenamt in Deinem Bürgerverein geht. Einmal pro Woche ist immer ein guter Anfang. 

Lerne zunächst Dich selbst kennen. Schätze ein, was für Dich realistisch und machbar ist. Dann setze um. Und mache Dir klar: Ob Du etwas tust oder unterlässt, in jedem Fall musst Du mit den Konsequenzen leben. Entscheiden kannst Du in erster Linie ohnehin nur für Dich. Du kannst Dich ändern und das wird Reaktionen um Dich herum auslösen. Wirfst Du einen kleinen Kieselstein auf die ruhige Oberfläche eines Sees, wirst Du beobachten, welche Kreise das Wasser zieht. 

Erkenne und gestehe Dir aufrichtig ein, wie Du bist. Was Du bist. Wer Du bist. Was sich nicht unbedingt decken wird damit, wer, was oder wie Du gerne lieber wärest. Darauf kannst Du als nächstes hin arbeiten, wenn Du es willst. Bist Du eine Partylöwin? Oder ein Arbeitstier? Und wieso oder? Können wir nicht alles sein, was wir möchten? Vielleicht nicht. Evtl. sind es Eigenschaften, die Du an anderen zutiefst bewunderst, die allerdings Deinem eigenen Wesen überhaupt nicht entsprechen. Dann ändere entweder Dich selbst oder akzeptiere, dass Du so nicht bist. Klingt sehr einfach. Ich weiß selber, dass es häufig so leicht nicht ist. 

Wisse daher: Die Macht einer klaren Entscheidung ist eine große Kraft. Sie wird viel Energie freisetzen, die Dich auf nie erahnte Weise darin unterstützen wird, das gefasste Ziel zu erreichen. Hand aufs Herz und das Licht nicht länger unter den Scheffel gestellt: Wir alle haben schon oft im Leben Dinge erreicht, an die wir nicht im Traum gedacht hätten. Wir haben es einfach durchgezogen. Weil wir wollten, weil wir mussten, weil wir anders nicht mehr konnten, weil wir keine andere Wahl mehr hatten. Und diese Stärke können wir immer wieder mobilisieren. Es hängt davon ab, ob die Motivation ausreicht. 

Selbstverständlich kann ich hier immer nur von meiner eigenen Weltsicht berichten. Von meinen Erfahrungen, meiner Meinung. Es gibt Dinge, die bringen Dich schier um den Verstand und Du stehst davor, wie vor dem Auge eines Sturms. Und Du hast keinen blassen Schimmer, wie Du dieses Erlebnis überstehen sollst. Ich weiß das. Ich kenne die Schicksalsschläge und die Weggabelungen und die Kraftlosigkeit. Ich habe auch schon ins Nichts geblickt, über den Rand des Abgrunds hinaus. Und vermutlich werde ich es wieder müssen. Man sieht dann einfach nicht mehr klar, kann nicht objektiv denken. Angst lähmt und Verzweiflung legt sich über jede Empfindung, wie ein Leichentuch. Vor allem, wenn es um die eigene Existenz geht oder wenn es um jemanden geht, den Du liebst.

Meist sind wir allerdings gerade im Angesicht der größten Katastrophe in der Lage zu überstehen, was wir für nicht zu überleben hielten. Von dem wir glaubten, es sei einfach nicht auszuhalten. Du wirst wissen wovon ich rede. Denn so traurig es auch sein mag, es ist wahr. Wir alle haben solche Situationen erlebt. Und der Grund, warum Du dies hier trotzdem noch lesen kannst ist der, dass Du es gemeistert hast. Inzwischen hilft mir daher häufig der Gedanke, egal wie erschreckend die Lage auch sein mag, dass ich auch anderes schon durchgestanden habe. Dass auch dies zu schaffen ist. Natürlich lässt man Federn, jedes verfluchte Mal. Aber irgendwo passiert auch ein Update in Deinem Inneren. 

Mein Rat lautet daher stets: Wenn Du es mit Entscheidern oder potenziellen Helfern zu tun hast - sei authentisch. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden, hat meine Schwiegermutter immer gesagt. Zeige, wer Du wirklich bist. Lasse die Welt Deinen Schmerz sehen. Wieviel davon und wen, das entscheidest Du. Aber Menschen merken, wenn Du Dich verstellst. Ganz intuitiv. Umso mehr Lebenserfahrung sie haben, desto eher durchschauen sie, wenn Du nicht wirklich alles preisgibst. Wir lieben Schwächen. Fühlen uns angezogen von verwandten Seelen, die sich blank machen und alles freilegen, was an die eigenen Niederlagen erinnert. An das eigene Scheitern. Das macht uns zu Menschen. So entsteht Nähe. Indem wir uns öffnen und jemandem bewusst gestatten, sich anzulehnen. Emotional anzudocken. Auf diese Art finden wir Verbündete. In jedem Kampf. Sei ehrlich. Dir selbst fällt es leichter, Dich mit jemandem zu identifizieren, der nicht perfekt ist. Genauso wenig, wie Du selbst.

Und nein, ich halte mich nicht etwa für überlegen, weil ich solche geistigen Ergüsse hier raus haue. Ich schaue Fernsehen und mache ganz profane Dinge, wie wir alle. Ich liebe es, mich berieseln und gut unterhalten zu lassen. Für mein Empfinden, gut. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Ich lasse die Glotze eben nicht laufen, egal wie stumpf die Ausstrahlung ist. Für mein Empfinden, stumpf. Big Brother und Dschungelcamp werdet Ihr bei mir jedenfalls nicht sehen. Geht gar nicht. Sollte alles meiner Meinung nach wegen Volksverdummung verboten werden. Sorry, falls Ihr Fans sein solltet. Ich entscheide mich halt auch hier ganz bewusst. Ich sage immer gern, dass ich ohne meine Leichen nicht einschlafen kann und das meine ich nicht ganz so scherzhaft, wie man meinen könnte. Wenn es bei Bones, CSI, Criminal Minds & Co. hoch her geht, werde ich ruhig. Spannung ist mein Beruhigungsmittel. Im Gegensatz machen Nachrichtensendungen und Unterhaltungsshows mich verrückt. Dabei kann ich nicht abschalten oder besser gesagt, wühlt mich sowas auf. 

An einem gemütlichen Abend schaue ich Horror-Filme oder führe mir den Familienauftrag der Winchesters zu Gemüte - was für ein Klischee, oder? Ich stehe auf American Horrorstory (so schön krank) und all der Tod in The Walking Dead hat mich seinerzeit irgendwie mehr zurück ins Leben geholt, als ich ziemlich am Boden war. Aber ich bin auch Sex and The City. Ich bin der Desperate-Housewifes-Typ und ich liebe die alten Serien wie Friends oder Gilmore Girls. Je nachdem, wie ich gerade drauf bin. Auch das alles gehört für mich zum Menschsein dazu. Zum Leben, zum Genießen. Ich bin mir einfach im Klaren darüber, dass ich so ticke. Und deshalb finde ich das vollkommen okay. Klatschblätter hingegen sind mir ein Graus. Es interessiert mich nicht, was sie alle in ihrem Privatleben treiben. Ich habe ein eigenes.

Worauf ich hinaus will: Wir alle haben eine bunte Fülle an Facetten und die sollten wir uns auch gestatten. Nehmt so viele Erfahrungen mit, so viel Freude, Lachen, Gruseln, Party, Genuss und Leben, wie Ihr nur könnt. Wir sollten uns bewusst für Vielschichtigkeit entscheiden. Musst Du immer Ernst sein, nur weil Du Mama bist und die Verantwortung trägst? Die Antwort lautet meines Erachtens nach - nein! Du kannst sein wer, wie und was Du willst. Die Entscheidung treffen wir jeden Tag neu. Das sollten wir uns vor Augen führen. 

Mein Wording, wenn ich hier schreibe beispielsweise, unterscheidet sich teilweise extrem von der Art und Weise, wie ich in meinem Privatleben auftrete. Am Fußballplatz oder auf einer Party oder im Job. Ich fülle jede dieser Rollen aus und ich genieße es. Wer sagt, dass ich nur die emsige Assistentin oder die bewusste Spirituelle oder das verrückte Huhn sein muss? Ich bin alle von ihnen und das ist gut so. 

Mein Segen (oder mein Fluch ;-) ist das Geschichtenerzählen. Ich werde immer mal, seit frühester Kindheit, darauf angesprochen. Dass ich wie ein ganz anderer Mensch erscheine, wenn ich schreibe. Ja, ich drücke mich dann anders aus. Ist doch klar, oder? Wenn ich mein Blog in Umgangssprache verfassen würde, klänge es vermutlich etwas seltsam. Und wenn ich ständig bei den Leuten im Dorf so tief schürfend herum schwafeln würde wie jetzt, das wäre doch auch ein wenig komisch. Dennoch bin ich dieselbe Person. Aber ich bin mehr, als meine äußere Erscheinung. Mehr als lackierte Fingernägel, witzige Sprüche und Organisationstalent. 

Was das Reden und das Schreiben anbelangt - ich kann mich irgendwie einfach nicht kurzfassen. Liegt vermutlich in meinen weiblichen Genen, denn ich beobachte dasselbe Phänomen häufiger in meinem Freundinnenkreis. Aber hey, die gute Nachricht ist: Im Marketing beispielsweise ist Storytelling, gekonnt und emotionsgeladen, eine durchaus positive Sache. 

Also mache ich das Beste daraus. Ich versuche es zumindest, was meine positiven Eigenschaften betrifft. So, wie ich sie gerade nutzen kann. Das Beste können wir ohnehin immer nur aus dem JETZT heraus holen. Wir haben quasi auch nur das. Deshalb sage ich: Kauf die zu teuren Schuhe. Iss das Stück Kuchen. Wenn Du es wirklich, wirklich willst. Ja, ich weiß. Diese Einstellung macht mich vermutlich auch zu einer Drama-Queen. Sieht so aus, als würde ich allem eine Bedeutung zumessen. Eine versteckte oder eine ganz eindeutige. Was soll´s - das stimmt!

Und da sind wir wieder beim Bewusstsein angelangt. Ich versuche immer wach zu sein. Jedenfalls dann, wenn es Sinn macht. Mitten in der Nacht wäre es mir lieber, diese Eigenschaft noch besser abstellen zu können. Aber so grundsätzlich, bin ich mir gern der Tragweite alles möglichen bewusst. 

Nehmen wir den Herbst. Diese Zeit bedeutet für mich: Lichterketten, Kerzen, Rotwein, Kürbissuppe, klare Luft und Halloween-Deko. Andersherum aber auch: Ahnengedenken, Unterweltzeit, Hekate, Abrechnung und Ernte, die Ankündigung der wilden Jagd. Im Angesicht des Verfalls findet sich eine große Schönheit. Fast atemberaubender als die Fülle des Sommers, scheint es mir manchmal. Ich versuche dann darin einen übertragenen Sinn für das Leben zu finden. Immerhin bin ich mit meinen 40 Jahren nicht mehr allzu weit vom Herbst des Lebens entfernt. Kann dieser langsame Abschied von straffer, praller Haut schön sein? Findet sich eine Anmut im Vergehen meiner äußerlichen Jugend? Auf die Vorzüge der Gelassenheit und geistigen Reife, die mit dem zunehmenden Alter Einzug halten, bin ich längst aufmerksam geworden.

Sogar meine Katze liebt dieselben Dinge wie ich und ich bemerke das durchaus: Sie liebt den Duft von getrockneten Kräutern, sie beobachtet gern das Spiel der im Wind tanzenden, bunten Blätter vor dem Fenster. Sie liebt Blumen. Bücher, Papier und Gemütlichkeit. Snowhy genießt die Wärme der von unserer Fußbodenheizung aufgeladenen Fliesen, wenn ihr erst die Hitze  vom Sonnenschein geküsster Terrassenplatten gewichen ist. Vermutlich ist sie eine verdammt gute Lehrerin. Denn sie zeigt mir, wie ich jeder Jahreszeit ihre Vorzüge abgewinnen kann. Was ich ohnehin tue, glaube ich. 

Um es mit den Worten von Metallica zu sagen: "Nothing else matters". Heute ist alles, was zählt. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Jahreszeiten oder das Älterwerden. Sondern grundsätzlich. In der Spiritualität bedeutet dies für mich, dass ich nicht nur die Asche anbeten, sondern auch die Flamme am Leben halten möchte. Durch den Wandel der Zeiten. Auf meinem eigenen Weg. Ich liebe Traditionen und alte Bräuche. Aber alles verändert nun einmal sein Gesicht. Aus Dörfern wurden Städte und aus Kindern werden Erwachsene. Heute reden wir über die großen Themen des Daseins nicht mehr nur noch hinter vorgehaltener Hand. Wir bloggen und wir twittern, wir sprechen offen. Wir erheben unsere Stimme.  Denn das bedeutet es, lebendig zu sein. Veränderung, Wachstum, Fortschritt. 

Ich bin die Hexe. Ich bin die Liebende. Ich bin das wilde Weib. Die Mutter, die Jungfrau, die Schöne, die Lustige. Die Berufstätige, die Freundin. Diese Liste lässt sich beliebig fortführen und ergänzen. Für alles was ich bin, für jede Rolle, die ich spiele, habe ich mich bewusst entschieden. Manchmal früher, manchmal später. In vieles musste ich erst hinein wachsen. Ich musste lernen zu verstehen, wer ich bin. Was ich kann. Was ich nicht kann. Was ich will und was ich nicht will. Und was ich vielleicht dennoch tue. 

Lerne, die Dinge im übertragenen Sinne zu verstehen. Das hat mir stets sehr geholfen. Nicht erst, seit mir als Mädchen von meinem Vater das Kartenlegen beigebracht wurde. Ich habe es weiter entwickelt. Meine Techniken sind noch anders als seine. Lerne die Dinge zu deuten, besser gesagt. Lies die Zeichen. Lies zwischen den Zeilen. Die Bildersprache ist eine universelle. Genau wie die von Tönen, Düften, Geschmäckern, Farben und Gefühlen. Alles hat einen Symbolgehalt. Entwirre die Fäden Deines Lebens. Sieh das ganze Netz, aus dem es besteht. Fahre mit den Fingern an den Saiten entlang, deren Schwingung Dich mit allem und jedem verbinden. Ein altes Symbol versteht jeder.





Samstag, 3. Oktober 2020

Warum "Hexe"...?

 


"Ich habe mich nicht entschieden, eine Hexe zu sein. Ich erinnerte mich, dass ich bereits eine war..." Das ist die kurze Antwort. Aber sein wir ehrlich, dazu muss ich schon etwas weiter ausholen (und es wird vermutlich SEHR lange dauern). Das Buch, aus dem ich dieses Zitat abfotografiert habe, ist übrigens eine sternenklare Lese-Empfehlung! Ich hätte etliche Bücher-Tipps für Euch. Aber kommt Zeit kommt Rat. Dies hier fürs Erste. Es sprach mir wirklich aus der Seele, als ich es vor drei Jahren las.

Und dieser Beitrag hier wollte eigentlich auch mal ein Buch werden, wenn er groß ist. Entsprechend ist er laaaang. Plant etwas Zeit ein, wenn Ihr das hier jetzt wirklich lesen wollt. Holt Euch einen Kaffee oder macht eine Flasche Wein auf, meinetwegen brüht Euch Tee, lockert Eure Muskeln, setzt Euch bequem und dann... Seid willkommen in meiner Welt!

Lasst mich Euer weißes Kaninchen sein und spielt für eine Weile die Alice. Ich entführe Euch auf einen Abstecher in mein persönliches Wunderland. (Komm mit mir ins Abenteuerland - der Eintritt kostet den Verstand... ;-)

Zurück zum Kern der Frage. Ich hatte schon länger den Gedanken, dass ich meine Beweggründe einmal ausformulieren sollte - nicht nur dafür, warum ich so bin, wie ich bin - sondern vor allem auch, weshalb ich mich genauso nenne. Gerne und stolz. Voll inbrünstiger Liebe (zum Leben, zu meiner Göttin) und in wahrhaftem Vertrauen. 

In der Tat war es so, dass ich nicht erst als Teenie auf den Zug mit aufgesprungen bin, als das Thema Hexen, durch Filme und Serien wie "Der Hexenzirkel" oder "Charmed", zu einem regelrechten Hype wurde. Im Gegenteil war das einfach ein Echo von dem, was ich tief in mir fühlte. Wobei man selbstverständlich dazu sagen muss, dass Filme etc. versuchen etwas zu verbildlichen, das eigentlich  naturgemäß keine materielle Form hat. Geister, als reißerisches Beispiel gern hergenommen, waren für mich z. B. spätestens seit dem Freitod meiner Großmutter absolut real.

Zu jener Zeit waren diese Strömungen in mir schon vertraut, seit ich denken und sprechen konnte. Lediglich ein zusammenfassendes Wort fehlte mir noch. Für all meine Theorien, Erinnerungen, Behauptungen, Diskussionen. Für die festen Glaubenssätze und ernsthafte Beschäftigung mit dem Okkulten, wie auch den religiösen Ausformungen in dieser Welt. Es sollte nicht lange dauern, bis ich es wiederfand.

Seit Jahrhunderten ist diese Bezeichnung mit Schimpf und Schande belegt. Bis zur Unkenntlichkeit dämonisiert und verunglimpft. Aber ich werde jetzt keine schlauen Reden darüber schwingen, wo das Wort Hexe seine Wurzeln hat und weshalb wir schon sehr lange, anders ausgedrückt, als Zaunreiterinnen benannt werden. Das ist wieder eine Geschichte für sich. Ich werde ihr zu gegebener Zeit einen eigenen Beitrag widmen.

Statt dessen versuche ich heute, mich auf meine persönlichen Ansichten zu beschränken. Wieso ich mich nicht schäme, aber auch nicht wild missionierend mit einem Schild durch die Gegend laufe, eine Hexe zu sein.

Bereits in meiner sehr frühen Kindheit hatte ich unter anderem starke, extrem lebendige Träume. Häufig waren sie beängstigend und endeten nicht gut. Nach dem Aufwachen bekam ich keine Luft oder hatte Nasenbluten, aber ich erinnerte mich jedesmal an die Angst und den Schrecken. An Feuer und an Fluten, in denen ich ertrunken war. Ich erzählte meinen Eltern von Atlantis, von Ägypten und vom Taj Mahal, als ich die Worte noch kaum aussprechen bzw. eher brabbeln konnte - geschweige denn, dass ich jemals in diesem Leben davon hätte gehört haben können. Heute weiß ich, dass ich mich an meine eigenen vergangenen Inkarnationen erinnerte.

Wie viele Male habe ich es erlebt, dass ich kleine Rituale oder einfache Dinge immer intuitiv auf eine bestimmte Art getan habe, um später in einem Buch zu lesen, wo dieser Brauch seinen Ursprung hatte. In der Gegenwart kommt wohl das Wort Deja vu diesen Momenten am nächsten.

Und ja, ich verfügte bereits früh über sehr klare Vorstellungen. Die fühlten sich nie an wie Vermutungen oder "etwas nur zu glauben". Es waren regelrechte Überzeugungen. Ich erinnerte mich. An mehr als nur vergangene Leben. Gespeist von etwas, dessen Quelle aus einer deutlich weiter entfernten Tiefe sprudelte. Tiefer und weiter als meine persönliche Existenz. Wenn es um Himmel und Hölle ging, um Leben und Wiedergeburt, Gott oder Götter. Ich hatte eine Meinung. Eine unumstößliche Erklärung, die ich auch nicht scheute zu vertreten. 

Da fällt mir wieder ein, wie ich mit elf Jahren die Konfirmation verweigerte. Das wäre für mich nicht richtig, erklärte ich. Als meine Omi mich damals zu beschwichtigen versuchte, mit der Aussicht auf Geschenke und finanzielle Zuwendungen lockte, teilte ich empört mit, dass ich meinen Glauben ganz sicher nicht verkaufen würde. Damit hatte sich das Thema erledigt. Mein Vater nannte mich fortan "Heide-Marie". Irgendwie hatte er ja Recht: Ich bin eine Heidin, die nicht "den einen Gott" anerkennt. Ich unterscheide zwischen "dem universellen, ewigen Göttlichen" (welches ich als eine Macht betrachte, die absolut ALLES durchdringt) und den Göttern (diversen Entitäten oder archetypischen Gewalten, die in verschiedenen Kulturen und Zeitaltern unter diversen Namen verehrt werden).

Heutzutage lehne ich die katholische oder christliche Kirche nicht kategorisch ab. Ich bin da nur einfach nicht zuhause. Das bin nicht ich. Abgesehen von dem Wahnsinn der Hexenverfolgung, den "gestohlenen Feiertagen" und der Frauen verachtenden Mentalität, tut die Kirche ja auch viel Gutes. Sie spendet Hoffnung. Die Gebäude aus Holz und Stein haben durchaus ihren Charme. Auch wenn sie sicher nicht notwendig wären, um mit (einem) Gott zu kommunizieren. Das geht immer und überall. 

Ich zünde dennoch in Kirchen sogar Kerzen an. Ich kann einen Geist fühlen. Manchmal. Eine Präsenz, die die Mauern durchtränkt und wispert, dass die Menschen unter ihrer Obhut Trost finden können. Einen Sinn. Aber meine Kirche ist es dennoch nicht. Dieser Gott spricht nicht zu mir. Wenn ich auch gegen Jesus rein gar nichts einzuwenden habe, das möchte ich klar stellen. Ich glaube an ihn. Es hat ihn ganz sicher gegeben. Er war ein großer Schamane, Heiler oder Priester seiner Zeit. Vor ihm habe ich Achtung. Der Gedanke an ihn rührt etwas in mir an. Und nein, für mich ist das kein Widerspruch an sich.

Es gibt dennoch viele Gründe, warum ich keine Christin bin. Wie könnte ich auch? Dieser dreifaltigen Konstellation aus Vater, Sohn und heiligem Geist fehlt schlicht die weibliche Identifikationsfigur. Die dreifache Göttin war gemeinhin bekannt und verehrt, bis sie von den alten Männern mit ihren langen Rauschebärten und Keuschheitsgelübden in die Verbannung geschickt wurde. Ihre Geschichten wurden adaptiert, mit neuen Namen etikettiert und genauso verlief es mit den uralten Jahreskreisfesten. Aber gut, wieder eine andere Baustelle.

Ich bezeichne meine Spiritualität in diesem Zusammenhang häufig als gynozentrisch. Weil in meinem Glauben die Göttin vorherrscht und im Mittelpunkt steht. Das bedeutet nicht, dass ich alle männlichen Gottheiten ablehne. Ganz im Gegenteil. Wir leben in einer dualen Welt. Wir sind Körper UND Geist. Neben Nacht und Tag, schwarz und weiß, Sommer und Winter, existiert von einfach allem ein Gegenpol. Eine Ergänzung. Ein Gegenteil. Die andere Seite der Medaille. Ohne das eine könnte es das andere nicht geben. Wenn wir das Böse nicht kannten, wüssten wir gar nicht was gut ist. Ohne erfahrenes Leid gäbe es kein Freude. Bzw. wären wir nicht in der Lage, sie zu erkennen. Und wüssten sie in der Folge nicht zu schätzen. Das ist Spiegelmagie erster Güte. Es liegt insofern für mich auf der Hand, dass auch das Weibliche nicht ohne das Männliche bestehen kann und umgekehrt. Wir unterscheiden uns von den Männern, nicht nur äußerlich. Und es ist gut so.

Aber als Frau ist es in meinen Augen normal, dass ich mich an gleichgeschlechtlichen Vorbildern und Mustern orientiere. Die gibt es  bloß beispielsweise im Christentum nicht. Dort findet sich lediglich die arme Mutter Maria, die angeblich schwanger wurde, ohne jemals in sündiger Fleischeslust gelegen zu haben. Alles andere wäre nämlich schwer verwerflich. Alternativ sei noch Maria Magdalena erwähnt, die angebliche Hure. Wie soll das mir, einer Erwachsenen Frau des 21. Jahrhunderts, ein starkes Vorbild sein? Die ich jeden Tag im Job meinen Mann stehe und dennoch eine Ehefrau bin.

Jedoch bitte nicht verwechseln: Ich bin es, die bei uns daheim kocht und wäscht und putzt. Obwohl ich einen guten Job habe und Vollzeit arbeite. Ich mag einfach die klassische Rollenverteilung. Ich liebe Traditionen und alte Bräuche. Es fühlt sich gut an für mich. Mein Mann und ich ergänzen uns da prima. Schon früher hatte ich ja bereits erwähnt, dass ich durchaus etwas übrig habe für Klischees. Sie kommen vermutlich nicht ganz von ungefähr.

Egal in welcher Farbe ich meine Haare überfärbe, ein Schimmer Rot kommt immer durch. Meine Augen sind so grün wie Frösche, ich liebe meine Katzen mehr als die meisten Menschen und Steine betrachte ich als zweifelsfrei legitime Helferwesen.

Ich bin jedoch die Kämpferin und die Schutzbedürftige. Meine Geschichte hat mir die Chance eingeräumt, beide Seiten kennen zu lernen. Solange ich mir selber aussuchen kann, was für mich passt und was nicht, ist alles in Ordnung. Wenn ich offen einfordern kann, was ich gerade brauche. Das ist der entscheidende Faktor. Bei allem. Die Wahl zu haben. Das ist wichtig. Das macht mich gleichberechtigt. Niemand hat mich gezwungen; weder mein Mann, noch die Familie oder Gesellschaft im Allgemeinen.

Nun, ich will nicht zu sehr ins Detail gehen oder gar abschweifen. Häufig bezeichne ich mich als Natur-Spirituelle. Wenn ich irgendwo zum ersten Mal in eine Diskussion über Glaubensthemen gerate. Oder wenn ich danach gefragt werde und mein Gegenüber noch nicht so recht einzuschätzen vermag. Mit dem fehlenden Hintergrundwissen halten die Leute einen sonst gern für einen übergeschnappten Hippie und nehmen nicht mehr ernst, was man eigentlich sagen möchte. Außerdem ist das Thema durchaus kompliziert und eher nicht in zwei Sätzen abzuhandeln. Wobei das eigentlich schon okay ist. Von mir aus kann jeder herzlich gerne denken, was er möchte. Eine angenehme Gelassenheit, die das Alter so mit sich bringt.

Jedenfalls ist die Antwort durchaus korrekt und sehr ursprünglich. Immerhin ist es die Natur, mit ihrem Werden und Vergehen, den Jahreszeiten, Mondzyklen, ihrer Ebbe und Flut, an der wir Hexen uns permanent orientieren. Die Parallelen zu jedem Tag und jedem Leben sind für uns unübersehbar. Wie im Großen, so im Kleinen sagen wir. Wie oben so auch unten. Mikrokosmos gleicht Makrokosmos, Ursache ergibt Wirkung usw. usf. Wir Menschen sind selber rhythmische und zyklische Wesen. Körperlich, seelisch, allumfassend. Es gibt keine Frage, die unsere Natur nicht beantworten könnte, indem wir sie genau beobachten und als Beispiel oder zum Vorbild nehmen. So einfach ist das. Wir Hexen erachten sie vielleicht nur nicht als so belanglos, sondern widmen ihren Wundern mehr Aufmerksamkeit. Noch eine ganz einfache Tatsache.

Ich bin eine Natur-Spirituelle, das ist also vollkommen korrekt. Aber das ist noch nicht alles. Ich bin eine Frau! Da haben wir es wieder. Ich trage den Titel Hexe mit Stolz, im Gedenken an Tausende von Frauen, die vor mir da waren. Die dahin gemeuchelt, gefoltert, erniedrigt und verteufelt worden sind. Manchmal weil sie einfach nur jemand los werden wollte, manchmal weil sie   Eigenschaften hatten, die uns einfach im Blut liegen. Nichts verwerfliches. Mit Tieren reden, eine enge Verbindung zu Mutter Natur pflegen, Zeichen beobachten. Über ein feines Gespür verfügen, weibliche Intuition. Vielleicht das instinktive oder überlieferte Wissen, um die heilenden oder auch verheerenden Eigenschaften von Pflanzen. Sie taten im Prinzip Dinge, nach denen heute kein Hahn mehr kräht, könnte man sagen. Aber damals mussten wir dafür brennen.

Ich rede von Verbrechen an der Menschlichkeit. Am weiblichen Teil unserer Bevölkerung. Deshalb trage ich dieses Erbe auch zur Andacht und als Mahnmal. Um der Welt zu zeigen, dass wir überlebt haben. Dass wir ein Recht haben, zu leben, was wir sind. "Und schadet es keinem, so tue was Du willst", heißt es unter anderem in der Hexenrede.

Es sei in dem Zusammenhang übrigens angemerkt, dass ich keine Wicca bin. Aber mein Glaube ist dem sehr ähnlich. Nur weniger dogmatisch. Ich persönlich finde in so gut wie jeder Kultur und Religion dieser Welt einen Funken Wahrheit, der uns allen gemein ist. Einen Ursprung oder Kern, der uns verbindet.

Des weiteren bin ich keine fanatische Anhängerin von Homöopathie und Phytotherapie (auch wenn ich beides sehr schätze und natürlich nutze), die vielleicht Schulmedizin und Wissenschaft verpönen würde. Ich bin auch kein "Öko" in dem Sinne, der den Einsatz von Deodorant verweigert und in nichts als Biolatschen umher läuft. Alles quatsch. Solche Stempel lasse ich mir nicht aufdrücken. Herrje, ich rauche sogar! Ich zelebriere es förmlich, mich zu schminken und mich zurecht zu machen. Ich bin gerne ein Mädchen! Ich trinke und lache laut und tanze und feiere und lebe und liebe. Ich bin die Prinzessin und der Bauarbeiter und das wilde Weib - alles in einem. Ebenso bin ich die Jungfrau, die Mutter und die Weise Alte in einer Person. Aber in meinem Herzen wohnt ein kleiner Hippie, da ist schon was dran. Denn das ist der eine Punkt in unserem Glauben, der uns von den allermeisten Religionen unterscheidet: Unsere Göttin sagt "jeder Akt des Lebens ist eine Feier in meinem Namen". Amen Mutter, so soll es sein. 

Wir sind hier geboren, um zu lernen und uns zu entwickeln. Aber möglichst freudvoll. Es ist nichts ungewollt daran, dass wir uns amüsieren. Werde glücklich und mache aus Deinem Leben etwas Gutes. Für Dich und für die anderen. Das ist wahrer Göttinnen-Dienst. Wir verbringen diese Existenz "im Fleisch" und wir dürfen es genießen. In all seinen Facetten. 

Was Magie und Wissenschaft angeht: Sie sind für mich keine Gegensätze. Sondern lediglich zwei Worte in verschiedenen Sprachen, die eigentlich dasselbe bedeuten. Unterschiedliche Betrachtungs- und Herangehensweisen. Mehr nicht. Die Wissenschaft (da von Menschen gemacht und weiter entwickelt) braucht nun einmal ihre Zeit, um zu forschen, zu entdecken und bestätigen. Heute wissen wir auch, dass die Erde keine Scheibe ist. Aber bis zu dieser Erkenntnis hat es ein Weilchen gedauert. Ihr versteht worauf ich hinaus will. Rituale, Zauberformeln, Divination, Symbole und die Ausübung magischer Praktiken existieren seit Menschengedenken. Sie werden von Menschen ausgeführt, enthalten jedoch einen göttlichen Funken. Wie übrigens alles und jeder beseelt ist, meiner Meinung nach. Da wird der Kreis wieder rund.

Allerdings schätze ich den Zauber, das Mystische und Märchenhafte, welches der Magie, wie auch dem Hexentum, anhaftet. Wenn wir jedes Wunder in seine Einzelteile zerlegen, dann verliert es einfach nur seinen Glanz. Sieh den Sonnenaufgang doch einfach, so wie er ist. Spüre in Dich hinein, was der Anblick in Dir auslöst. Ohne zu hinterfragen, wie das physikalisch möglich ist. 

Die Geburt eines Kindes oder die Liebe zu einem anderen Menschen sind nicht weniger magisch, obwohl wir natürlich heut zu Tage die biologischen und chemischen Abläufe kennen, die zu Grunde liegen. Wobei vielleicht die Frage nie ganz geklärt werden wird, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei...

Ich bin fest überzeugt (und meine Erfahrungen haben es im Laufe der letzten 40 Jahre fortwährend bestätigt), dass wir Einfluss nehmen können auf unser Leben. Auf unser Schicksal. Woran ich übrigens ebenso felsenfest glaube. Zufälle gibt es für mich nicht. Aber das bedeutet nicht, dass wir machtlos sind. Mit nichten. "Bewusst-sein" ist schon mal ein ganz entscheidender Faktor und Schlüssel zum eigenen Geschick. Was ich klar sehe und objektiv einschätze, damit kann ich auch umgehen. Mir muss also bewusst sein, was ich ändern kann (falls es mich stört), was ich hin nehmen muss (weil ich es nicht ändern kann) und vor allem muss ich das eine vom anderen zu unterscheiden wissen. Das ist eine Grundregel nicht nur in der Magie, sondern auch in der Psychologie und alltäglichen Lebensführung.

Genauso entscheiden wir uns jeden Tag aufs Neue in moralischen Dingen. Das nennen wir Gewissen. Es gibt zwei Dinge, die wir nicht zurück nehmen können: Den geschossenen Pfeil und das gesprochene Wort. Denkt einmal darüber nach. Sind nicht vielleicht, so gesehen, Himmel und Hölle gar nichts anderes als Karma? Wenn Du Dir am Ende des Tages noch im Spiegel in die Augen schauen kannst, ist das schon mal ein gutes Zeichen. Wenn Du am Ende Deines Lebens, danach, auf viele schlimme Dinge zurück zu blicken hast, dann musst Du damit zurecht kommen. Und es beim nächsten Mal am besten wieder gut machen. Aber das gilt auch schon im Leben. 

Die dreifache Regel nehme ich daher sehr ernst. Alles was Du aussendest, kommt dreimal zu Dir zurück, sagen wir. Im Guten wie im Schlechten. Wer arbeitet und aussät, der wird Lohn erhalten, ernten können. Wer lügt und betrügt, verrät und verletzt, wird irgendwann auffliegen bzw. mit den Konsequenzen konfrontiert werden.

Ich sage: Gedanken sind mächtig. Worte haben Kraft. Der Glaube kann Berge versetzen. Der mentale Antrieb, ein Ziel zu erreichen oder auch nicht, versetzt Dich in die Lage, es wirklich zu schaffen - oder auch nicht. Denk immer an die Hummel, die nicht weiß, dass sie eigentlich, rein physikalisch betrachtet, gar nicht fliegen kann. Sie tut es einfach. Sie ist sich der wirkenden Naturgesetze nicht bewusst und setzt sich deshalb darüber hinweg.

Nehmen wir eine rote Rose. Wenn ich sie für einen Zauber verwende, der sich vielleicht mit Liebe oder Herzensgüte befasst, ist die Blüte an sich erstmal nicht mehr oder weniger magisch als ein Laib Brot oder eine Kristallkugel. Meine Assoziationen laden sie mit der Kraft auf, die ihr von Natur aus bereits gegeben ist. Meine Gedanken und Absichten verstärken ihre Natur. Ich sehe ihre Farbe und verbinde damit Liebe, Blut, Leidenschaft. Ich sehe, dass ihr Stiel auch Dornen hat. So wie jede Partnerschaft eben auch. Ich rieche ihren betörenden, verführerischen Duft. Ich weiß, dass sie sich aus einer zarten Knospe immer weiter entfaltet hat. Kein Teil ist in meinem Universum "einfach nur so", wie es auf den ersten Blick erscheint. Ich erfasse es im Ganzen, soweit es mir eben möglich ist. Und dann lege ich all das, was ich damit verbinde, in meine Vorstellung vom gewünschten Ergebnis. Soviel mal in meinem kleinen Exkurs zur Zauberei. 

Auch Kochen ist nichts anderes als Magie. Ein rein transformativer Akt. Wie im Ritual wählen wir die nötigen Zutaten aus. Geben Gewürze hinzu, um dem ganzen etwas Pfiff zu verleihen. Wir überlegen was passt. Und dann wird schlussendlich aus vielen Einzelteilen etwas völlig Neues, ein Ganzes, zusammen geschmolzen. Worin nebenbei bemerkt auch die althergebrachte, nicht zu unterschätzende  "Küchenmagie" ihre Ursprünge hat. Ihr lest also unter anderem gerade ein Plädoyer auf das womöglich wirklich älteste Gewerbe der Welt. Auf eine Kunst, ein Handwerk und eine Wissenschaft. Auf die irgendwie natürlichste Sache, die man sich vorstellen kann.

Die sogenannte "Magie der leeren Hand" funktioniert ebenfalls zweifelsohne. Sie ist nichts anderes, als eine Form von Gebet. An wen oder was auch immer gerichtet. Aber ich wasche weder ohne Weichspüler, noch werde ich ein Ritual ohne etwas Beiwerk ausführen. Das kann alles sein, was für mein Empfinden stimmig erscheint. Kerzen, Schnüre, Öle, Steine, Federn, Kräuter, Püppchen oder Alltagsgegenstände. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Denn sie ist der Spielplatz jeglicher Art von Magie. Wir weben sie in der Traumzeit. Wie wir Menschen Kunst erschaffen, sind wir auch die Mitschöpfer unserer Realität.

Diese Tatsache macht uns "nach Gottes Vorbild geschaffen". Indem wir selber an jedem Tag (Mit-)Schöpfer sind. Ob wir nun schreiben, malen, töpfern, backen, gärtnern, Zahlen analysieren, heilen oder zaubern.

Vieles lässt sich also beeinflussen, beschützen, positiv wenden oder einen leichten Schwung in die richtige Richtung verleihen. Gedanken werden Worte, Worte werden Taten und schon ist es wahr. Wir manifestieren unsere Realität permanent. Häufig jedoch ohne uns dessen bewusst zu sein. Mantren sind ein gutes Beispiel. Sage Dir einmal spaßeshalber 30 Tage lang jeden Morgen ins Gesicht, dass Du hübsch und liebenswert bist. Lächle dabei. Du wirst es verinnerlichen, bis Du es selber glaubst. Irgendwann strahlst Du diese Überzeugung automatisch aus und die Menschen, die Dir begegnen, reagieren auch entsprechend auf Dich. Allerdings funktioniert dieses Prinzip auch umgekehrt. Wenn Du Dir ständig sagst, dass Du nicht genug bist, hässlich oder dumm, dann wirst Du das ebenfalls irgendwann selber glauben... Und schon sind wir bei der allseits bekannten "selbst erfüllenden Prophezeigung" angelangt. Wir programmieren. Uns. Die Welt. Die Umstände.

Weshalb lesen wir denn unseren Kindern Märchen vor? Sicherlich, um sie zu unterhalten. Aber sie lernen auch daraus. In allen alten Geschichten sind mächtige Botschaften verborgen. Schätze, die es zu heben gilt. Die den Charakter formen, ermutigen und unterschwellig sogar auf das Leben vorbereiten. Viele dieser alten Gute-Nacht-Geschichten sind objektiv betrachtet regelrecht grausam. Sie erzählen von Initiationsreisen, Visionssuchen, vom zerstückelt und wieder zusammengesetzt werden. Nichts anderes passiert im Laufe eines Lebens jedem Menschen. Wir lieben, leiden, lachen, werden verletzt, wir scheitern. Aber im besten Fall stehen wir auch wieder auf. Richten das Krönchen und begeben uns zu neuen Abenteuern.

Als nichts anderes betrachte ich die Bibel im Prinzip. Sie ist ein großes, wichtiges und durchaus aussagekräftiges Märchenbuch, in meinen Augen. Eine lehrreiche Bildergeschichte über die Menschheit, die Moral und ihrer beider Entstehung. Eine Orientierungshilfe. Die man vielleicht nicht immer unbedingt allzu wörtlich nehmen sollte. Und in der Art und Weise, wie sie formuliert wurde, vermutlich auch einigen eher dienlich als anderen. Aber darum geht es hier nicht.

Wir waren beim Manifestieren stehen geblieben und dabei, wie wir selbst jeden Tag aufs Neue unsere Welt beeinflussen. Wie wir sie formen und verändern können. Womit ich übrigens nicht behaupte, die ewig gültigen Gesetze umgehen zu können. Es gibt Regeln, die lassen sich auch mit massiver Gedankenkraft nicht brechen. Höchstens die Grenze können wir dehnen. Der Tod gehört dazu. Er ist einer der Stützpfeiler in diesem magischen Konstrukt. Alles in der materiellen Welt ist dem Verfallsprozess unterworfen. Menschen, Tiere, Bäume, Blumen, Steine. Sie alle haben zwar verschieden lang währende Lebenszyklen. Aber fest steht, nichts davon lebt ewig. Was geboren wird, muss auch sterben.

Heutzutage träume ich, unter der vollen Mondin um ein Feuer zu tanzen. Im Kreise vertrauter Frauen. Begleitet von den Geister-Rasseln, einem stampfenden Rhythmus und dem Klang von Trommeln, die mich bis ins Mark durchdringen. Ich träume davon, über die Felder meiner Wahlheimat zu fliegen und einen Baum in ihrer Mitte zu umarmen. Ich träume von meinem Wald und von Nebel. Von der atemlosen, befreienden Hetze des Laufens. Solche Erinnerungen vermischen regelmäßig mein aktuelles und längst vergangene Leben miteinander. Diese Sequenzen erinnern mich an die Sehnsucht nach Freiheit, wenn ich es mit den To-do-Listen, Kalendereinträgen, Terminen und dem Drang nach Perfektionismus wieder einmal übertrieben habe. Mein Körper sendet somit einen zuverlässigen Weckruf, wenn ich vom Weg ab zu kommen drohe. 

Jedoch brauchte es viele schmerzhafte Jahre und Erfahrungen, diesen Ruf zu verstehen. Ihn nicht auszublenden. Sondern aufzuschrecken und zu erkennen, das etwas nicht stimmt. Dass die Selbstfürsorge auf den Plan rücken musste. 

Derartige Gedanken-Verknüpfungen sind für mich so selbstverständlich. Warum seht Ihr das nicht? Das frage ich mich manchmal. Wieso versteht Ihr die Wunder nicht? Warum wisst Ihr sie nicht zu schätzen? Bin ich eine Form dessen, was Ihr heut zu Tage als Autisten bezeichnet? Seit wann ist es krank, sich nicht vollkommen an eine ungesunde Gesellschaft anzupassen, die sich selbst nicht mehr kennt oder wertschätzen kann? 

Wenn ich sage "lasst uns die Feste feiern, wie sie fallen und das Leben genießen", dann meine ich JETZT. Weil dies das (d)eine, das entscheidende Leben ist. Du bekommst keine zweite Chance, es zu meistern. Mach das Beste daraus. Jeden Tag aufs Neue. Immer wieder. Jeden Tag besser als zuvor. Wir sind die Alten. Wir sind die Neuen. Stärker als zuvor.