Donnerstag, 2. April 2020

Anthropophobie

Die Anthropophobie (griech.: ἄνθρωπος (anthropos) = Mensch; φόβος (phobos) = Furcht, Scheu) ist die übersteigerte Angst eines Menschen vor anderen, und wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft mit dem weniger schwerwiegenden Begriff der Menschenscheu bezeichnet. Die Anthropophobie ist eine soziale Phobie, das heißt eine Angststörung, die sich in der Gemeinschaft mit anderen Menschen bemerkbar macht. Dies kann in Extremfällen zur Abschottung gegenüber jeglicher Interaktion mit anderen Menschen führen. Soziale Isolation mit allen ihren Problemen ist die Folge, muss aber auch als Bewältigungsstrategie gesehen werden, die der Angstreduktion dient, so dass diese Isolation vom Betroffenen auch gewünscht ist. (Quelle / Textnachweis)


Entwickeln wir durch Covid19 nun eine großflächige soziale Phobie? Ich habe an mir selber eine beunruhigende Regung feststellen müssen: Menschen machen mir plötzlich Angst. Womit ich nicht den moralischen Verfall unserer Gesellschaft meine, den ich schon lange kopfschüttelnd beobachte. Sondern ganz konkret die Tatsache, dass jemand mir körperlich nahe kommen könnte. Die einzige Person, auf die das nicht zutrifft, ist mein eigener Ehemann, mit dem ich zusammen lebe. 

Jeder von uns hat seinen privaten Tanzbereich. Eine persönliche Grenze, die kein ausreichend nahe stehender überschreiten sollte, weil ansonsten ein unbehagliches Gefühl in uns ausgelöst wird. Auf Grund des aktuellen Kontaktverbotes scheint diese imaginäre Linie sich bei mir aber auf tatsächlich mindestens zwei Meter ausgedehnt zu haben. Natürlich liegt es ganz klar auf der Hand: Es ist die Angst vor Ansteckung. Ich war seit je her jemand, dem zum Beispiel eine Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln unangenehm gewesen ist. Nicht so schlimm paranoid wie beim allseits beliebten Sheldon Cooper. Aber Sauna ist für mich auf jeden Fall echt abartig. Leute husten, schwitzen, atmen, fassen Haltegriffe oder ähnliches an. Im Bus oder Zug sind sie mir zudem körperlich deutlich näher, als ich es bei Personen gerne habe, die ich nicht kenne. Bazillen und Viren schwirren überall umher, so dass ich mich nach dem Aufenthalt in einer Arztpraxis, einer U-Bahn etc. ohnehin irgendwie schmutzig gefühlt habe. Jetzt ist das aber nochmal eine ganz andere Nummer. Plötzlich erscheint mir eigentlich jeder als eine potenzielle, unmittelbare Gefährdung für meine Gesundheit.

Im Supermarkt, der Apotheke usw. macht sich das am meisten bemerkbar. Überall dort also, wo ich anderen überhaupt noch begegne. Sogar wenn mir im Wald beim Laufen Spaziergänger oder andere Jogger entgegen kommen, mache ich einen extra großen Bogen um sie herum.Geht im Laden jemand an mir vorbei, spüre ich eine regelrechte Stressreaktion in mir aufsteigen. Irgendwann stellte ich fest: Du hast echt Angst vor den Leuten. Bzw. dass sie krank oder Träger sein könnten.

Aktuell beobachte ich hauptsächlich zwei Arten von Umgang mit der sozialen Distanz: Die einen nehmen es überhaupt nicht ernst, finden es übertrieben und machen sich scheinbar auch keinen Kopf darüber, ob sie jemanden infizieren könnten. Die anderen halten sich brav an alle Regeln, scheinen aber nicht weiter aufgeregt oder betroffen zu sein. Was ja durchaus vernünftig ist. Es bleibt uns eh keine Wahl. Aber gibt es noch mehr von denen, die sich gerade so fühlen wie ich?  Gutes Mittelmaß wäre ja gesund. Ich hingegen scheine zu einer eher extremen Reaktion zu tendieren. 

Vor ein paar Tagen war es besonders traurig: Ich traf meine unbiologische Schwester liebe Freundin K. im örtlichen Edeka-Markt. Wir mussten einkaufen. Sie gehört zu den Alltagshelden dieser neuen Zeit, die sich tagtäglich abrackern, Überstunden kloppen und an ihre Grenzen gehen, um uns andere weiterhin mit allem Notwendigen zu versorgen. Um sich, nebenbei bemerkt, dafür häufig auch noch überflüssiger Weise mit Spott, Meckereien und Unfreundlichkeit belohnen lassen zu dürfen.

Als wir auf den Parkplatz gefahren kamen sah ich sie gleich vor dem Laden stehen. Noch ein Zigarettchen vor Dienstantritt. Sie drehte sich um, bemerkte mich auch und kam mit ausgebreiteten Armen in meine Richtung gelaufen. Während ich ihr ebenfalls entgegenging, sprang plötzlich ein Mechanismus in mir an, der mich stoppen ließ. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Angst, meine Freundin zu umarmen. Vielleicht klingt das jetzt in Euren Ohren total banal. Aber für mich war es irgendwie eine große Sache. Auf einmal schossen mir etliche Gedanken durch den Kopf. Dass sie jetzt sicher enttäuscht wäre oder sich abgelehnt fühlte. Dabei wollte sie mich vermutlich selber auch gar nicht wirklich umarmen. Bzw. wollten wir es natürlich beide! Doch ich vermute, dass sie es genauso wenig tatsächlich vor hatte, wie ich. 

Normalerweise begrüßen wir uns wahnsinnig überschwänglich. Drücken uns feste und herzlich, Küsschen auf den Mund, freudestrahlende Mädels. Und dann das. Wir standen uns gegenüber und ich schämte mich. Für meine Distanz. Ich denke schon, dass wir uns richtig verhalten haben. Genauso wie es vorgeschrieben ist und es auch der gesunde Menschenverstand im Augenblick verlangt. Dennoch tat es mir einfach nur furchtbar leid und ich fühlte mich wie die schlechteste Freundin der Welt,  mies. Erschwerend kommt nämlich noch hinzu, dass wir uns seit ein paar Wochen nicht getroffen hatten. Selbst unsere teilweise stundenlangen Unterhaltungen via WhatsApp-Sprachnachrichten wurden von den veränderten Verhältnissen, viel Arbeit, Stress und dem ganzen Krempel, geschluckt. So standen wir da, mit einer circa anderthalb Meter messenden Entfernung von einander. Der Abstand jedoch kam mir sehr viel größer vor. Das hat mich emotional ganz schön aus der Bahn geworfen.

Ähnlich geht es mir mit meinen anderen Freundinnen und der Clique hier aus unserem Wolfsrudel, mit der ich sonst eigentlich jedes Wochenende verbracht habe. Sie fehlen mir. Ich sehe im Kalender die Einträge von Veranstaltungen, an denen wir normalerweise gemeinsam teilgenommen hätten. Wir hätten zusammen gefeiert, gelacht, getanzt, geredet. Diese Termine sind nun gestrichen. Wir winken uns statt dessen mal aus der Ferne, rufen uns was zu, machen Quatsch in den Gruppenchats. Und manchmal fühle ich einen kleinen Stich, weil ich sie einfach nicht sehen darf und auch keinen blassen Schimmer habe, wann sich das wieder ändern wird.

Hoffen wir alle, dass schnell ein Impfstoff und / oder Heilmittel gefunden wird. Denn so lange wir das nicht haben, wird sich für mich persönlich an der Situation quasi nichts ändern. Selbst wenn die Regierung das Kontaktverbot aufheben sollte, weiß ich nicht ob ich das Risiko in Kauf nehmen würde. Risikogruppe und so. Keiner kann mir sagen inwieweit die immunsuppressive Behandlung sich nach wie auswirkt. 

Zu meinem Mann habe ich kürzlich gesagt, dass dieser Wehmut auch etwas Schönes hat. Denn meine Empfindungen zeigen einfach, dass sie mir etwas bedeuten. Dass ich diese Menschen wirklich gerne habe. Sie machen mich dankbar, dafür Teil einer wunderbaren, verrückten Gemeinschaft zu sein. Sie beantworten die eine essenzielle Frage. Nämlich die, ob mein Herz intakt ist.

Neulich stieß ich dann auch genau im Herzstück-Magazin auf ein tolles, dazu passendes Zitat:


Ich kann aus voller Überzeugung behaupten: Ja! Ich weiß, dass ich am rechten Ort bin, zur richtigen Zeit und dass ich genau diejenigen getroffen habe, mit denen ich noch einmal zusammen sein will und noch unzählige Male. Die ich wieder sehen will. Und ich wache neben dem einen morgens auf, mit dem ich bis ans Ende meines Lebens auch in Quarantäne bleiben wollen würde. Mit ihm und unseren drei Schnuppen natürlich. Also habe ich alles gefunden, wonach es sich zu suchen lohnt.

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