Dienstag, 27. Oktober 2020

Die Sache mit dem Bewußtsein

Ich hatte bereits in meinem letzten Beitrag erwähnt, für wie wichtig ich dieses Thema grundsätzlich halte. Und zwar in jeglicher nur vorstellbaren Hinsicht. Sich bewusst zu sein was man tut, was man unterlässt, wie man isst, denkt, fühlt, konsumiert. Woher Vorlieben und Abneigungen stammen, woraus die eigenen Glaubenssätze und Verhaltensmuster resultieren, ist der Schlüssel zu so gut wie jeder Lebenslage. Angefangen bei den essentiellen Überzeugungen, bis hin zu den sehr persönlichen Belangen, wie beispielsweise der Art unsere Freundschaften und andere Beziehungen zu führen bzw. pflegen.

Das Problem mit dem bewusst-sein heut zu Tage ist, dass wir leider zu häufig im Autopiloten-Modus durch unser Leben hetzen. Wann hast Du das letzte Mal ganz bewusst Deinen Arbeitsweg wahrgenommen? Dich wirklich umgesehen, meine ich. Wann hast Du zuletzt Dein Frühstück richtig geschmeckt? Seine Textur, den Duft, die Temperatur... Klar, vieles blenden wir wie von selbst aus, weil wir sonst regelrecht wahnsinnig werden würden. Angesichts der Reizüberflutung durch die Medien, vom Geräuschpegel des Verkehrs. Der Hintergrundbeschallung, weil es überall dudelt und piepst und rattert und plappert. Hat also auch was mit Selbstschutz zu tun. Aber eben auch nur, wenn Du ganz bewusst die Ohren zusperrst, Scheuklappen aufsetzt und Dich in Deinen Tunnel begibst.

Ich selber schaue seit über zwanzig Jahren keine Nachrichten und lese auch nicht die Tageszeitung. Das hat etwas mit Gedankenhygiene zu tun. Ich mache das, um mein Herz, meine Seele und meinen Verstand zu schonen. Es ist mir nämlich ganz ehrlich alles viel zu viel, was in der Welt so passiert.

Aber ehrlich: Das meiste erscheint heute schnöde und selbstverständlich, alltäglich, unspektakulär. Nichts wird mehr wirklich wahrgenommen und in Folge dessen wertgeschätzt. Diesen Eindruck habe ich gewonnen und bestätigt bekommen. Von der Tsunami-mäßigen Welle an Achtsamkeits-Ratgebern, Apps, Meditations-Kursen und Selbstfürsorge-Helfern, die wir inzwischen beinahe alle brauchen. Um auf den Boden der Tatsachen zurück zu kehren, uns selbst zu finden, uns auf das Wesentliche zu besinnen. 

Jeder schreit nach Freiheit und betont gleichzeitig, wie gut es uns in der heutigen Zeit, dieser hoch technisierten, durchaus wohlhabenden Welt, doch allen geht. Freiheit fängt aber mit einem selbstbestimmten Leben im Kleinen bereits an. Selbstbestimmtes Handeln und die Freiheit, seinen Alltag nach den eigenen, sehr individuellen Bedürfnissen ausrichten zu können. Das ist die Wurzel der Zufriedenheit. Lasst uns erstmal dahin finden, bevor wir nach den Sternen greifen.

Wie oft hast Du das Gefühl, nur noch auf Anforderungen zu reagieren, die von Außen an Dich heran getragen werden? Wann agierst Du jemals aus Dir selbst heraus? Indem Du einem Impuls folgst, einer spontanen Eingebung nachgibst. Vermutlich hast Du "keine Zeit", um kurz entschlossen den Tag im Bett zu verbringen, spazieren zu gehen oder Dir aufwändig einen frischen Eintopf zu kochen.

Ich verstehe das, mir geht es selber häufig nicht anders. Strukturen und feste Regeln finde ich auch an sich sehr wichtig. Sie sind durchaus sinnvoll.  Sie geben Halt und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Arbeitszeiten, Pausen, Sport, Verabredungen, Termine nach Kalender. Hat alles seine Daseinsberechtigung. Ordnung muss sein. Ehrlicherweise bin ich sogar ein extrem organisierter, aufgeräumter Typ. Ohne geregelten Tagesablauf wäre ich echt aufgeschmissen. Grundsätzlich bin ich also ein Fan von Planmäßigkeit.

Worauf es ankommt - der kleine aber gravierende Unterschied, ist ob Du frei entscheiden kannst, aus Deinem Korsett auch mal auszubrechen (oder ob Du nur denkst, Du könntest es nicht?). Ob Dir überhaupt klar ist, dass Du in einem steckst. Da darf ich persönlich mich wahnsinnig glücklich schätzen: Mir ist das so möglich, wie es in einem festen Arbeitsverhältnis nur geht. Ich sitze jetzt bald schon seit zwei Jahren im Homeoffice und kann mir sogar meine Zeit so einteilen, wie es für mich am besten passt. Dass ich am liebsten jeden Tag um 7.00 Uhr anfange und um 16.00 Uhr Feierabend mache, habe ich mir selbst ausgesucht. Wie viel mehr an Lebensqualität ich dadurch gewonnen habe, kann ich kaum beschreiben. Meine Firma und mein Chef sind da also sehr modern und Mitarbeiter-freundlich eingestellt. Das ist ein echtes Geschenk. Ich weiß, dass so ein Arbeitsmodell leider nicht überall möglich ist oder dem gängigen Standard entspricht. Deshalb bin ich wirklich dankbar und weiß die Bedingungen umso mehr zu schätzen. Seit dem genieße ich den Luxus einer echten Work-Life-Balance.

Berufstätigkeit ist aber auch lang nicht der einzige Punkt auf der Agenda. Viel Zeit im Job zu verbringen und für den eigenen Erfolg zu arbeiten, fleißig zu sein, das ist doch prima. Wenn es uns wichtig ist. Wenn wir das machen, weil wir es möchten. Wenn es unseren Zielen und Vorstellungen von einem erstrebenswerten Leben entspricht. 

Hast Du eigentlich Ziele? Weißt Du, was Dir wirklich wichtig ist? Hast Du jemals definiert, wofür Du das alles machst? Das Bewusstsein über diese drei Punkte, wird nämlich Deine Entscheidungen und somit Dein Verhalten, nachhaltig verändern. Weil Du dann nicht mehr die Erwartungen von irgend jemand anderem stumpf erfüllen wirst. Sondern anfängst zu überlegen ob die überhaupt mit Deinen eigenen übereinstimmen.

Die meisten Menschen sind insgesamt so dermaßen gefangen. Wir haben uns teils selbst eingesponnen und regelrecht verheddert. In einem Kokon aus Verpflichtungen, Zusagen, ehrenamtlichen Tätigkeiten, Familienwahnsinn, Hausarbeit und auch Freizeitstress. Häufig merken wir das erst, wenn wir bereits kurz vom Zusammenbruch stehen. Oder bereits zusammengebrochen sind. Den größten Teil von alle dem machen jedoch die eigenen Erwartungen aus. In der Regel ist uns das nicht klar. 

Alles muss immer unbedingt. (Wer sagt das? Was passiert sonst? Stirbt jemand?) Lockerlassen ist unmöglich, weil ungewohnt. Dafür wäre es nötig, die Komfortzone zu verlassen und das macht Angst. Was die anderen wohl denken könnten, wann soll ich das statt dessen erledigen, das macht man doch nicht, andere schaffen das doch auch... Wir Menschen sind sehr kreativ darin, Ausreden oder Begründungen für unsere eigene Unfähigkeit zur freien Lebensgestaltung zu (er-)finden.

Und schon sitzen wir drin in der Falle, wo wir etwas nicht mehr bewusst oder aus freien Stücken heraus tuen. Sondern weil wir es so gewohnt sind, weil es von uns erwartet wird, weil wir es so vorgelebt bekommen. Wir denken gar nicht mehr darüber nach, sondern machen automatisch. Das ist nicht immer schlecht, wie gesagt. Aber viel öfter mal innehalten und kurz überlegen oder zumindest klar machen, WARUM wir das JETZT so oder so machen, könnte allein schon viel verändern. Weil wir dann nämlich in die Entscheidungsfreiheit kommen, die wir ansonsten gar nicht sehen.

Wenn ich mich bewusst entschließe, heute mein Bad zu putzen, weil es mir nicht mehr sauber genug ist und ich mich ansonsten unwohl fühle. Dann ist das eine ganz andere Ausgangssituation - deutlich  besser und befriedigender, als es nur zu erledigen, weil es auf meiner To-do-Liste steht. Diese Erfahrung habe ich gemacht. Dann habe ICH nämlich diese Entscheidung getroffen. Und plötzlich ergibt die Schrubberei wirklich Sinn. Ich fühle mich nicht mehr so gezwungen. Ich könnte es nämlich auch bleiben lassen. Nur dann muss ich eben mit dem Staub und den Kalkflecken und den nicht mehr frischen Handtüchern leben.

Natürlich hat es viele Jahre gedauert, dies überhaupt zu begreifen und dann auch noch für die Zukunft zu verinnerlichen. Das brauchte körperliche und seelische Erkrankungen, Therapien, viel Übung und vor allem die Bereitschaft, mich zu verändern. Meine Gewohnheiten. Auch mal Nein zu sagen. Was deutlich schwieriger ist als ein braves Ja, aber lohnenswert. Als ich einmal gelernt hatte mich in einem Bereich zu hinterfragen, fiel mir mein Verhalten, die Fixierung auf das Muss, auch in anderen Belangen auf. Mir wurde mein Pflichtbewusstsein und der Hang zum Perfektionismus klar. Disziplin halte ich nichts desto trotz immer noch für eine gute Eigenschaft. Ich bin ordentlich und zuverlässig und erledige meine Pflichten. Aber zum Teil aus anderen Beweggründen als früher.

Und wenn ich mich wieder dabei ertappe, wie ich dies und jenes unbedingt noch muss, dann sage ich mir: "Ich kann machen was ich will". Denn so ist es. Dann grinse ich diebisch und mir wird sofort leichter ums Herz.

Ein weiterer Punkt auf der Bewusstseins-Agenda ist die klare Unterscheidung zwischen Wissen und Tun. Im Idealfall führe ich mir meine Überzeugung vor Augen, die ich mir unter Berücksichtigung aller Fakten gebildet habe - und lasse dann meinen Worten Taten folgen. In einigen Lebensbereichen jedoch kann das ganz schön tricky sein und vor eine echte Herausforderung stellen. Ein gutes Beispiel hierfür ist in meinem Fall die Sache mit der Ernährung. Ich habe in den letzten Jahren viel darüber gelernt und aus verschiedensten Beweggründen angepasst bzw. umgesetzt. Teils, weil ich (sehr bewusst und gewollt) auf meine schlanke Linie achte und andererseits, weil ich 2012 die Diagnose Morbus Crohn gestellt kam. Das hat einiges mit sich gebracht. Beides sind Themen, auf die ich gern zu gegebener Zeit noch näher eingehen möchte. 

Eine Sache, der ich aus meiner Sicht bisher noch nicht ausreichend gerecht werde, ist die fleischfreie Ernährung. Jeder, der vegan oder vegetarisch lebt, hat meines Erachtens nach vollkommen Recht mit seiner Entscheidung. Dennoch reichte es für mich selbst bislang nicht, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich habe 1000 Ausreden. Die Sache ist die - ich weiß, dass es Einwände sind. Welche, die zwar den Tatsachen entsprechen, aber eigentlich meine Schwäche in diesem Punkt demonstrieren. Auch auf dieses Thema möchte ich später noch in einem eigenen Artikel separat eingehen. Worauf ich hier nur hinaus will: Ich weiß genug, um mir eine objektive Meinung gebildet haben zu können, die meinen moralischen Werten und Vorstellungen von der perfekten Welt entsprechen würde. Das ist wichtig. Mir ist bewusst, dass ich nicht wirklich eine überzeugte Verfechterin des Fleischessens, der Massentierhaltung und all der Grausamkeiten bin. Ich esse nicht deshalb noch tierische Erzeugnisse, weil ich keine Ahnung habe. Ob es das jetzt besser oder schlimmer macht, sei mal dahin gestellt.

Wir Menschen sollten zumindest wissen was wir, durch unser Tun oder auch durch unser Unterlassen, in Kauf nehmen. Was wir unterstützen oder auch nicht und vor allem, aus welchen Gründen. Natürlich ist jede Gewissensfrage dann am härtesten, wenn wir genau informiert sind. Deswegen: Entscheide Dich dafür, entweder alle Tatsachen in ausreichendem Umfang zu kennen. Alternativ triff die bewusste Entscheidung, es aus mindestens einem tief reichenden, persönlichen Grund nicht zu wollen oder können. Aber renne nicht blind durch Dein Leben, den Supermarkt, die Werbeprospekte, zur nächsten Wahl. Entscheide wofür Du einstehen willst und in welchen Bereichen Du das lieber anderen überlassen möchtest. Keiner von uns kann allein die ganze Welt retten. Also suche Dir einen Teilbereich aus, den Du beeinflussen kannst und für den Du die nötige Energie aufzubringen vermagst. Wenn jeder etwas macht, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter.

Es gibt genug zu tun da draußen: Wir haben die freie Auswahl zwischen Tierschutz, Nachhaltigkeit, Politik usw. Um mal nur einige prägnante Schlagworte ins Rennen zu schicken. Jeder von uns kann im Großen oder Kleinen etwas bewegen. Je nachdem, welche Möglichkeiten wir haben, welche Plattform wir bespielen, wo unsere persönlichen Fähigkeiten und Prioritäten liegen. Und es gibt ebenso viel zu tun für uns selber. Die oberste und gravierendste Verantwortung tragen wir nämlich zu aller erst für uns allein. Ganz egal jedoch, ob Du etwas für Dich oder die ganze Welt bewegen möchtest: Lasse alles in Deinem eigenen Tempo geschehen. Sonst ist Dein Vorhaben von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Jeder Schritt ist besser als nichts. Es spielt keine Rolle, ob es dabei ums Mülltrennen, die Vermeidung von Plastik, Sport oder ein Ehrenamt in Deinem Bürgerverein geht. Einmal pro Woche ist immer ein guter Anfang. 

Lerne zunächst Dich selbst kennen. Schätze ein, was für Dich realistisch und machbar ist. Dann setze um. Und mache Dir klar: Ob Du etwas tust oder unterlässt, in jedem Fall musst Du mit den Konsequenzen leben. Entscheiden kannst Du in erster Linie ohnehin nur für Dich. Du kannst Dich ändern und das wird Reaktionen um Dich herum auslösen. Wirfst Du einen kleinen Kieselstein auf die ruhige Oberfläche eines Sees, wirst Du beobachten, welche Kreise das Wasser zieht. 

Erkenne und gestehe Dir aufrichtig ein, wie Du bist. Was Du bist. Wer Du bist. Was sich nicht unbedingt decken wird damit, wer, was oder wie Du gerne lieber wärest. Darauf kannst Du als nächstes hin arbeiten, wenn Du es willst. Bist Du eine Partylöwin? Oder ein Arbeitstier? Und wieso oder? Können wir nicht alles sein, was wir möchten? Vielleicht nicht. Evtl. sind es Eigenschaften, die Du an anderen zutiefst bewunderst, die allerdings Deinem eigenen Wesen überhaupt nicht entsprechen. Dann ändere entweder Dich selbst oder akzeptiere, dass Du so nicht bist. Klingt sehr einfach. Ich weiß selber, dass es häufig so leicht nicht ist. 

Wisse daher: Die Macht einer klaren Entscheidung ist eine große Kraft. Sie wird viel Energie freisetzen, die Dich auf nie erahnte Weise darin unterstützen wird, das gefasste Ziel zu erreichen. Hand aufs Herz und das Licht nicht länger unter den Scheffel gestellt: Wir alle haben schon oft im Leben Dinge erreicht, an die wir nicht im Traum gedacht hätten. Wir haben es einfach durchgezogen. Weil wir wollten, weil wir mussten, weil wir anders nicht mehr konnten, weil wir keine andere Wahl mehr hatten. Und diese Stärke können wir immer wieder mobilisieren. Es hängt davon ab, ob die Motivation ausreicht. 

Selbstverständlich kann ich hier immer nur von meiner eigenen Weltsicht berichten. Von meinen Erfahrungen, meiner Meinung. Es gibt Dinge, die bringen Dich schier um den Verstand und Du stehst davor, wie vor dem Auge eines Sturms. Und Du hast keinen blassen Schimmer, wie Du dieses Erlebnis überstehen sollst. Ich weiß das. Ich kenne die Schicksalsschläge und die Weggabelungen und die Kraftlosigkeit. Ich habe auch schon ins Nichts geblickt, über den Rand des Abgrunds hinaus. Und vermutlich werde ich es wieder müssen. Man sieht dann einfach nicht mehr klar, kann nicht objektiv denken. Angst lähmt und Verzweiflung legt sich über jede Empfindung, wie ein Leichentuch. Vor allem, wenn es um die eigene Existenz geht oder wenn es um jemanden geht, den Du liebst.

Meist sind wir allerdings gerade im Angesicht der größten Katastrophe in der Lage zu überstehen, was wir für nicht zu überleben hielten. Von dem wir glaubten, es sei einfach nicht auszuhalten. Du wirst wissen wovon ich rede. Denn so traurig es auch sein mag, es ist wahr. Wir alle haben solche Situationen erlebt. Und der Grund, warum Du dies hier trotzdem noch lesen kannst ist der, dass Du es gemeistert hast. Inzwischen hilft mir daher häufig der Gedanke, egal wie erschreckend die Lage auch sein mag, dass ich auch anderes schon durchgestanden habe. Dass auch dies zu schaffen ist. Natürlich lässt man Federn, jedes verfluchte Mal. Aber irgendwo passiert auch ein Update in Deinem Inneren. 

Mein Rat lautet daher stets: Wenn Du es mit Entscheidern oder potenziellen Helfern zu tun hast - sei authentisch. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden, hat meine Schwiegermutter immer gesagt. Zeige, wer Du wirklich bist. Lasse die Welt Deinen Schmerz sehen. Wieviel davon und wen, das entscheidest Du. Aber Menschen merken, wenn Du Dich verstellst. Ganz intuitiv. Umso mehr Lebenserfahrung sie haben, desto eher durchschauen sie, wenn Du nicht wirklich alles preisgibst. Wir lieben Schwächen. Fühlen uns angezogen von verwandten Seelen, die sich blank machen und alles freilegen, was an die eigenen Niederlagen erinnert. An das eigene Scheitern. Das macht uns zu Menschen. So entsteht Nähe. Indem wir uns öffnen und jemandem bewusst gestatten, sich anzulehnen. Emotional anzudocken. Auf diese Art finden wir Verbündete. In jedem Kampf. Sei ehrlich. Dir selbst fällt es leichter, Dich mit jemandem zu identifizieren, der nicht perfekt ist. Genauso wenig, wie Du selbst.

Und nein, ich halte mich nicht etwa für überlegen, weil ich solche geistigen Ergüsse hier raus haue. Ich schaue Fernsehen und mache ganz profane Dinge, wie wir alle. Ich liebe es, mich berieseln und gut unterhalten zu lassen. Für mein Empfinden, gut. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Ich lasse die Glotze eben nicht laufen, egal wie stumpf die Ausstrahlung ist. Für mein Empfinden, stumpf. Big Brother und Dschungelcamp werdet Ihr bei mir jedenfalls nicht sehen. Geht gar nicht. Sollte alles meiner Meinung nach wegen Volksverdummung verboten werden. Sorry, falls Ihr Fans sein solltet. Ich entscheide mich halt auch hier ganz bewusst. Ich sage immer gern, dass ich ohne meine Leichen nicht einschlafen kann und das meine ich nicht ganz so scherzhaft, wie man meinen könnte. Wenn es bei Bones, CSI, Criminal Minds & Co. hoch her geht, werde ich ruhig. Spannung ist mein Beruhigungsmittel. Im Gegensatz machen Nachrichtensendungen und Unterhaltungsshows mich verrückt. Dabei kann ich nicht abschalten oder besser gesagt, wühlt mich sowas auf. 

An einem gemütlichen Abend schaue ich Horror-Filme oder führe mir den Familienauftrag der Winchesters zu Gemüte - was für ein Klischee, oder? Ich stehe auf American Horrorstory (so schön krank) und all der Tod in The Walking Dead hat mich seinerzeit irgendwie mehr zurück ins Leben geholt, als ich ziemlich am Boden war. Aber ich bin auch Sex and The City. Ich bin der Desperate-Housewifes-Typ und ich liebe die alten Serien wie Friends oder Gilmore Girls. Je nachdem, wie ich gerade drauf bin. Auch das alles gehört für mich zum Menschsein dazu. Zum Leben, zum Genießen. Ich bin mir einfach im Klaren darüber, dass ich so ticke. Und deshalb finde ich das vollkommen okay. Klatschblätter hingegen sind mir ein Graus. Es interessiert mich nicht, was sie alle in ihrem Privatleben treiben. Ich habe ein eigenes.

Worauf ich hinaus will: Wir alle haben eine bunte Fülle an Facetten und die sollten wir uns auch gestatten. Nehmt so viele Erfahrungen mit, so viel Freude, Lachen, Gruseln, Party, Genuss und Leben, wie Ihr nur könnt. Wir sollten uns bewusst für Vielschichtigkeit entscheiden. Musst Du immer Ernst sein, nur weil Du Mama bist und die Verantwortung trägst? Die Antwort lautet meines Erachtens nach - nein! Du kannst sein wer, wie und was Du willst. Die Entscheidung treffen wir jeden Tag neu. Das sollten wir uns vor Augen führen. 

Mein Wording, wenn ich hier schreibe beispielsweise, unterscheidet sich teilweise extrem von der Art und Weise, wie ich in meinem Privatleben auftrete. Am Fußballplatz oder auf einer Party oder im Job. Ich fülle jede dieser Rollen aus und ich genieße es. Wer sagt, dass ich nur die emsige Assistentin oder die bewusste Spirituelle oder das verrückte Huhn sein muss? Ich bin alle von ihnen und das ist gut so. 

Mein Segen (oder mein Fluch ;-) ist das Geschichtenerzählen. Ich werde immer mal, seit frühester Kindheit, darauf angesprochen. Dass ich wie ein ganz anderer Mensch erscheine, wenn ich schreibe. Ja, ich drücke mich dann anders aus. Ist doch klar, oder? Wenn ich mein Blog in Umgangssprache verfassen würde, klänge es vermutlich etwas seltsam. Und wenn ich ständig bei den Leuten im Dorf so tief schürfend herum schwafeln würde wie jetzt, das wäre doch auch ein wenig komisch. Dennoch bin ich dieselbe Person. Aber ich bin mehr, als meine äußere Erscheinung. Mehr als lackierte Fingernägel, witzige Sprüche und Organisationstalent. 

Was das Reden und das Schreiben anbelangt - ich kann mich irgendwie einfach nicht kurzfassen. Liegt vermutlich in meinen weiblichen Genen, denn ich beobachte dasselbe Phänomen häufiger in meinem Freundinnenkreis. Aber hey, die gute Nachricht ist: Im Marketing beispielsweise ist Storytelling, gekonnt und emotionsgeladen, eine durchaus positive Sache. 

Also mache ich das Beste daraus. Ich versuche es zumindest, was meine positiven Eigenschaften betrifft. So, wie ich sie gerade nutzen kann. Das Beste können wir ohnehin immer nur aus dem JETZT heraus holen. Wir haben quasi auch nur das. Deshalb sage ich: Kauf die zu teuren Schuhe. Iss das Stück Kuchen. Wenn Du es wirklich, wirklich willst. Ja, ich weiß. Diese Einstellung macht mich vermutlich auch zu einer Drama-Queen. Sieht so aus, als würde ich allem eine Bedeutung zumessen. Eine versteckte oder eine ganz eindeutige. Was soll´s - das stimmt!

Und da sind wir wieder beim Bewusstsein angelangt. Ich versuche immer wach zu sein. Jedenfalls dann, wenn es Sinn macht. Mitten in der Nacht wäre es mir lieber, diese Eigenschaft noch besser abstellen zu können. Aber so grundsätzlich, bin ich mir gern der Tragweite alles möglichen bewusst. 

Nehmen wir den Herbst. Diese Zeit bedeutet für mich: Lichterketten, Kerzen, Rotwein, Kürbissuppe, klare Luft und Halloween-Deko. Andersherum aber auch: Ahnengedenken, Unterweltzeit, Hekate, Abrechnung und Ernte, die Ankündigung der wilden Jagd. Im Angesicht des Verfalls findet sich eine große Schönheit. Fast atemberaubender als die Fülle des Sommers, scheint es mir manchmal. Ich versuche dann darin einen übertragenen Sinn für das Leben zu finden. Immerhin bin ich mit meinen 40 Jahren nicht mehr allzu weit vom Herbst des Lebens entfernt. Kann dieser langsame Abschied von straffer, praller Haut schön sein? Findet sich eine Anmut im Vergehen meiner äußerlichen Jugend? Auf die Vorzüge der Gelassenheit und geistigen Reife, die mit dem zunehmenden Alter Einzug halten, bin ich längst aufmerksam geworden.

Sogar meine Katze liebt dieselben Dinge wie ich und ich bemerke das durchaus: Sie liebt den Duft von getrockneten Kräutern, sie beobachtet gern das Spiel der im Wind tanzenden, bunten Blätter vor dem Fenster. Sie liebt Blumen. Bücher, Papier und Gemütlichkeit. Snowhy genießt die Wärme der von unserer Fußbodenheizung aufgeladenen Fliesen, wenn ihr erst die Hitze  vom Sonnenschein geküsster Terrassenplatten gewichen ist. Vermutlich ist sie eine verdammt gute Lehrerin. Denn sie zeigt mir, wie ich jeder Jahreszeit ihre Vorzüge abgewinnen kann. Was ich ohnehin tue, glaube ich. 

Um es mit den Worten von Metallica zu sagen: "Nothing else matters". Heute ist alles, was zählt. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Jahreszeiten oder das Älterwerden. Sondern grundsätzlich. In der Spiritualität bedeutet dies für mich, dass ich nicht nur die Asche anbeten, sondern auch die Flamme am Leben halten möchte. Durch den Wandel der Zeiten. Auf meinem eigenen Weg. Ich liebe Traditionen und alte Bräuche. Aber alles verändert nun einmal sein Gesicht. Aus Dörfern wurden Städte und aus Kindern werden Erwachsene. Heute reden wir über die großen Themen des Daseins nicht mehr nur noch hinter vorgehaltener Hand. Wir bloggen und wir twittern, wir sprechen offen. Wir erheben unsere Stimme.  Denn das bedeutet es, lebendig zu sein. Veränderung, Wachstum, Fortschritt. 

Ich bin die Hexe. Ich bin die Liebende. Ich bin das wilde Weib. Die Mutter, die Jungfrau, die Schöne, die Lustige. Die Berufstätige, die Freundin. Diese Liste lässt sich beliebig fortführen und ergänzen. Für alles was ich bin, für jede Rolle, die ich spiele, habe ich mich bewusst entschieden. Manchmal früher, manchmal später. In vieles musste ich erst hinein wachsen. Ich musste lernen zu verstehen, wer ich bin. Was ich kann. Was ich nicht kann. Was ich will und was ich nicht will. Und was ich vielleicht dennoch tue. 

Lerne, die Dinge im übertragenen Sinne zu verstehen. Das hat mir stets sehr geholfen. Nicht erst, seit mir als Mädchen von meinem Vater das Kartenlegen beigebracht wurde. Ich habe es weiter entwickelt. Meine Techniken sind noch anders als seine. Lerne die Dinge zu deuten, besser gesagt. Lies die Zeichen. Lies zwischen den Zeilen. Die Bildersprache ist eine universelle. Genau wie die von Tönen, Düften, Geschmäckern, Farben und Gefühlen. Alles hat einen Symbolgehalt. Entwirre die Fäden Deines Lebens. Sieh das ganze Netz, aus dem es besteht. Fahre mit den Fingern an den Saiten entlang, deren Schwingung Dich mit allem und jedem verbinden. Ein altes Symbol versteht jeder.





7 Kommentare:

  1. Wunderbar!!! Existentiell reich!!!Vielfalt und göttliches,Alltag und Individualität,alles zusammen gedacht und phantastisch geschrieben.Dieser Beitrag hat mir heute früh den Morgen reich beschenkt.Danke

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    1. Meine liebe Magierin,
      so ein Lob aus Deinem Munde - oder aus Deiner Feder - zu vernehmen, ist mir jedes Mal eine Ehre und wird es immer bleiben. Danke. Es freut mich, dass ich Dich berühren konnte. Dass ich es durfte.
      Deine Athena

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  2. ❤️Wundervoll geschrieben uns so wahr.
    - Evi �� -

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    1. Danke, meine Liebe.
      Vor allem auch dafür, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Zeilen zu lesen, trotzdem ich weiß, wie viel Du aktuell um die Ohren hast.

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  3. Wunderbar geschrieben, inspirierend und zum Nachdenken anregend.

    Ganz zauberhafte Grüsse
    Nicky

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    1. Das freut mich riesig, liebe Nicky.
      Vor allem auch erstaunt es mich jedes Mal wieder, dass Du hier tatsächlich immer noch mitliest. Nach all der Zeit des Schweigens und angesichts der Tatsache, dass ich es seit Jahren überhaupt nicht mehr schaffe, in Deinem wundervollen Blog vorbeizuschauen.
      Fühl Dich von Herzen umarmt.
      Deine Athena

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    2. Liebe Athena,

      Wenn es die Zeit zulässt, dann bin ich gerne auf deinem Blog unterwegs. Ich schätze deine Berichte sehr. :)

      Auch eine liebe Umarmung an dich! <3

      Nicky

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