Dienstag, 24. März 2020

Ausnahmezustand

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. In den vergangenen Jahren sind die Rufe der Menschen nach Entschleunigung, Ruhe, Auszeiten und Umweltschutz immer lauter geworden. Nichts Neues also. Nun aber befinden wir uns mitten in einem Szenario, das uns genau all dies, quasi als Nebenwirkung, mit sich bringt. Auch nicht gut. Ganz im Gegenteil: Richtig schlimm! 

Das ist durchaus nicht sarkastisch gemeint und ich schließe mich auch keineswegs davon aus. Es ist schlimm! Die Lage ist ernst. Ich wünschte alle Menschen würden sie auch ernst nehmen. 

Natürlich hat sich vermutlich keiner DAS als Lösung gegen zu viele Termine, für mehr Lesezeit oder um den CO2-Ausstoß zu minimieren, gewünscht. Aber wir können es uns nicht aussuchen. Und wir können es auch nicht ändern. Wir können Einfluss nehmen, das wohl. Indem wir zuhause bleiben, uns vernünftig und solidarisch verhalten.

Irgendwer hat das für uns entschieden. Oder auch zu eigenen Gunsten. Vielleicht die Welt. Wenn es jemanden entlastet, dann jedenfalls Mutter Natur. Gönnen wir ihr diese kleine Verschnaufpause, so lange wir warten, beten und kämpfen, wieder in unser gewohntes Leben zurück kehren zu können.

Wobei wir hier eine Lektion lernen könnten und auch nachhaltig etwas zum Positiven wenden. Aber das steht auch wieder auf einem anderen Blatt Papier. Jetzt ist es für den Moment so und wir müssen damit klar kommen. Das ist leicht dahin gesagt, fühlt sich allerdings überhaupt nicht danach an.

Ich persönlich muss gestehen, dass sich in meinem Alltag eigentlich kaum etwas verändert hat. Natürlich ist alles anders. Aber ich brauche bisher auf nichts zu verzichten. Da kann ich mich glücklich schätzen und ich weiß das auch. Ich arbeite seit Anfang letzten Jahres beispielsweise Vollzeit für eine Firma mit Sitz in Berlin, im Homeoffice. Was derzeit für viele Menschen eine echte Herausforderung darstellt, ist für mich längst Gewohnheit. Eine, die ich sehr schätze, übrigens. 

Seit etwas über einem halben Jahr habe ich das Joggen für mich (wieder-) entdeckt. Was ursprünglich gedacht war, meine Figur zu halten und mir einen Ausgleich zu der ganztägig sitzenden Tätigkeit zu verschaffen, ist nun ein großer Eckpfeiler in Sachen "geistiger Gesundheit" für mich geworden. So sage ich das immer, in den letzten Tagen.

Auch hier darf ich dankbar sein. Wir leben in unserem Dörfchen umgeben von ziemlich viel Grün. Echte Natur, Felder und Wälder, in welche Richtung man sich auch dreht. Gegen Stress gibt es für mich nichts besseres, als die Laufschuhe anzuziehen und einfach raus zu rennen. Und Stress ist da, er ist überwältigend.

Morgens stehe ich auf und erwache für einen seligen Augenblick in der Illusion, dass alles in bester Ordnung sei. Mein Leben ist wunderschön, ich bin gesegnet. Das ist nach wie vor so und dessen bin ich mir stets bewusst. Allerspätestens wenn ich dann das Radio einschalte, die Katzen füttere und den ersten Kaffee anstelle, wird mir klar, dass dennoch nichts mehr so ist wie vorher.

Corona, dieses große böse Ungetüm, liegt über allem wie ein Schleier. Keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen wie es wirklich weiter gehen wird. Wie sich diese Krise entwickelt. Wie wird unsere Welt in einem Monat aussehen, in sechs, in einem Jahr? 

Ich versuche nicht darüber nachzudenken und glaube, das ist auch ganz wichtig. Wer sich den ganzen Tag lang über diese gewaltigen Fragen den Kopf zerbricht, der wird daran zerbrechen. Dann lässt die Depression schön grüßen und steht schneller Gewehr bei Fuß, als man sich vorstellen könnte. Kann somit nicht der richtige Weg sein.

Also müssen gesündere Strategien her. Ich versuche genauso weiter zu leben wie bisher. Bzw. tue ich das eigentlich tatsächlich beinahe auch. Wenn da nicht diese innere Unruhe wäre. Das Damoklesschwert einer latenten Bedrohung, die permanent vibrierend über unseren Köpfen schwebt.

Ich spüre meine Angst. Nervliche Anspannung, flache Atmung, schneller Herzschlag, Fahrigkeit. Und vor allem kann ich mich so gut wie gar nicht konzentrieren. Mehrmals täglich durchlebe ich verschiedene Phasen von Gefühlszuständen. Glückliche Momente, in denen ich mir keine Sorgen mache. Ein leckeres Frühstück mit meinem Mann, ein paar Seiten lesen, fernsehen, alles gut und normal. 

Anfangs ging es mir nur dann richtig schlecht, wenn ich konkret mit Fakten oder News konfrontiert wurde. Beunruhigende Nachrichten in WhatsApp-Gruppen, Berichte über Hamsterkäufe im TV oder einfach die neuesten Zahlen Infizierter. Sowas ließ mich in Tränen ausbrechen und überforderte mich emotional einfach vollständig. 

Der ultimative Kontrollverlust und das auch noch im Kollektiv. Ist es nicht so? Wir Leute von heute sind ja sehr aufgeklärt. Nehmen wir die Achtsamkeit: Wir wissen um die Kraft des Lebens im Augenblick. Weder festzuhängen in Verzweiflung über die vergossene Milch der Vergangenheit, noch in Grübeleien und Sorgen betreffend eine ungewisse Zukunft. Darin sollten wir uns üben, denn nichts davon ist unnützes Eso-Geschwafel. Aber es ist nicht so einfach, angesichts einer Situation mit der Tragweite von Corona.

Wo man sich zu Beginn dieser Riesen-Welle, die auf uns zurollte, zunächst "nur" über die eigene Gesundheit und das blanke Überleben ängstigte, geht es jetzt um darüber hinaus weit reichende Auswirkungen und Folgen, die womöglich noch viel länger anhalten werden, als die eigentliche Virusinfektion. 

Existenzängste im ganz großen Stil. Ob Gastronomie-Betriebe, Fitness-Studios, Reisebranche, Veranstalter oder kleine Boutiquen. Alle haben zu Recht Angst. Es kann jeden treffen. Behalten wir unsere Jobs? Ist das eigene Einkommen gesichert? Was passiert mit der Welt-Wirtschaft, das dann auch direkten Einfluss auf jeden von uns haben wird? Größere Unternehmen können eine Weile länger durchhalten, aber Garantien gibt es irgendwie keine mehr.

Eines unserer größten und essentiell wichtigsten Grundbedürfnisse wird gerade nicht nur berührt, sondern massiv angegriffen: Das nach Sicherheit. Dass die eine Illusion ist, erkennt gerade nicht nur einer alleine, sondern im Prinzip wirklich alle. Wie schnell das jetzt alles ging. Es war und es ist unaufhaltbar. Wie eine Naturgewalt, der die Menschen sich beinahe nackt und ungeschützt gegenüber sehen. 

Wir wissen es nicht. Keiner kann es uns sagen, niemand wird versprechen, dass alles gut wird. Da hilft nur Glauben und Vertrauen. Wobei nichts natürlich gerade schwerer fällt. Zündet Kerzen an, betet zu allen Göttern und Engeln, an die Ihr Euch wenden könnt und möchtet. Bleibt zuhause, trefft Euch nicht unnötigen mit anderen Menschen. Aber bleibt in Kontakt. Redet. Sprecht über Eure Gefühle, Ängste und Nöte. Schreibt sie auf. Tauscht Euch mit Euren Freundinnen aus, geht auf Eure Partner ein. Kuschelt mit Euren Haustieren. Bewegt Euch an der frischen Luft, macht den Frühjahrsputz und nutzt die "geschenkte Zeit", für die Projekte, die bisher liegen geblieben sind.

Es wird vorüber gehen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Ausbreitung sich verlangsamt. Das geht uns alle an. Es betrifft die ganze, große, weite Welt. Aber das wisst Ihr ja, hoffe ich. Ihr habt verstanden, dass es nicht nur um Euch selber geht. Darum, dass die Ansteckung mit dem Virus für Euch selber vielleicht nicht mehr als ein wenig "Erklältung" bedeuten würde. Aber für andere ist es lebensbedrohlich. Für die alten und die Vor-Erkrankten. 

By the way möchte ich erwähnen, dass ich wegen Morbus Crohn selber jahrelang immunsuppressiv behandelt worden bin. Für mich ist das eine ernst zu nehmende Sache. Zwar gehe ich regelmäßig joggen, bekomme Vitamin-B12-Spritzen (weil mein Körper das auf Grund der Erkrankung schon seit Jahren nicht mehr eigenständig aus der Nahrung aufnehmen kann) und habe seit Anfang 2017 meine Ernährung sehr bewusst umgestellt. Aber ich muss trotzdem aufpassen.

Insofern bin ich froh und dankbar, dass man versucht die Risikogruppen nach Kräften zu schützen. Nicht nur für mich. Nichts könnte den Niedergang dieser Gesellschaft mehr verdeutlichen, als wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und versuchen würden, Leben zu retten. Jedermanns Leben. Das von Krebspatienten z. B., die aktuell Bestrahlung oder Chemo bekommen. Jeder Eurer Nachbarn, Freunde und Vereins-Kameraden kann eine chronische Vor-Erkrankung haben, die im Falle einer Infektion mit Covid19 das Zünglein an der Waage bedeuten würde.

Aber ich sehe und verstehe dennoch sehr gut, was diese massiven Einschnitte in unser gesellschaftliches Leben mit einem machen können. Ohne Sportvereine oder wenigstens den geregelten, gewohnten Arbeitsalltag kann einen schon mal der Lager-Koller überkommen. Kein Friseurbesuch mehr, keine Fußballspiele, kein Kaffeeklatsch mit Freundinnen, keine Parties. Das sind natürlich alles Dinge, die jetzt keine Priorität haben dürfen. Trotzdem macht das was mit jedem von uns.

Verschwörungs-Theoretiker haben in diesem Jahr selbstverständlich Hochkonjunktur. Was für ein gefundenes Fressen eine solche Pandemie aber auch ist. Ganz ehrlich Leute, ich habe keine Ahnung "wer Schuld ist". Ob irgendein verrückter Professor das Virus auf uns losgelassen hat, um die Überbevölkerung einzudämmen, dies eine Form von kaltem Krieg darstellen soll oder tatsächlich eine göttliche Strafe. Dafür wie wir mit diesem Planeten, uns gegenseitig und den Tieren umgegangen sind. Mit unseren eigenen Leben. An Zufälle glaube ich nicht. Alles hat meiner Meinung nach einen Sinn. Bloß spielt es in meinen Augen grad gar keine Rolle, woher das Übel gekommen ist. Wir müssen damit fertig werden, das ist der Punkt. 

Was mit der Moral von Menschen passiert, die sich nach einer globalen Katastrophe vom Aussterben bedroht fühlen, dürfte nicht erst seit The Walking Dead oder apokalyptischer Literatur bekannt sein. Ich möchte wirklich nie erleben, was die Generationen vor uns am eigenen Leib erfahren mussten. Krieg, Tod und Massensterben. Wenn man allerdings mitbekommt, dass brave Bürger sich schon wegen Toilettenpapier an den Kragen gehen, drängen sich einem ganz von selbst irgendwann Befürchtungen hinsichtlich Ausschreitungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf.

Doch das Ganze hat, wie alles im Leben, auch seine lichten Seiten. Plötzlich erkennt auch der Letzte, wer die Helden des Alltags in dieser Gesellschaft sind. Unterbezahltes Personal wie Krankenschwestern, Supermarkt-Kassiererinnen & Co. werden ganz besonders gefordert. Plötzlich fällt es jedem auf. Digitalisierung ist nicht mehr  etwas zweifelhaftes, das Arbeitsplätze gefährdet. Momentan sichert sie eher welche, macht für viele ihre Arbeit überhaupt noch möglich und erleichtert es darüber hinaus, miteinander vernetzt zu bleiben. Wir begreifen uns außerdem wieder viel deutlicher als die sozialen Wesen, die wir von Natur aus sind. Bringen eine größere Wertschätzung auf für die "selbstverständlichen Gegebenheiten", die von heute auf morgen gar nicht mehr als solche erschienen. Aus der Sicht einer bedrohten Spezies, die plötzlich eingestehen muss wie fragil ihr solide geglaubtes Fundament in Wirklichkeit ist, hat vieles einen neuen, höheren Stellenwert.

In diesem Sinne, passt auf Euch auf. Auch gegenseitig. Bleibt gesund, tut etwas für Euch, das Euch glücklich macht. Glaubt an das Gute und tragt selbst die Hoffnung in die Welt, die Ihr Euch wünscht und die wir alle so sehr brauchen.

Please guide me, please lead me, please show me the way