Wenn ich im Auto sitze und wir vorbei fahren an den Feldern, dann wechsle ich seit Jahren schon irgendwann ganz plötzlich die Perspektive. Ich fliege rasend schnell über sie hinweg, sehe alles von oben. Ich tag-träume, verwandle ich mich eine Krähe. Einen von Athenes Botenvöglen. Ich kann den Wind in meinem Gefieder fühlen, spüre wie ich schneller dahin gleite, welch unermeßliche Freiheit das ist, wie sehr wir mit allem verbunden sind. Ich weiß genau was unter mir ist, sehe Details, anderes zieht rasant schnell an mir vorüber. Ein wundervolles Gefühl.
Wenn wir an den beiden alten Häusern zwischen Wäldern und Feldern vorbei fahren, die an einem kleinen Bach liegen und deren Gärten vollkommen wild erscheinen, dann träume ich davon wie es sein könnte da hindurch zu streifen. Mit den Händen an den Spitzen der hohen Stängel von Gräsern entlang zu gleiten, während um mich herum alles lebt und pulsiert und sprießt und wächst. Abends im Dunkeln muss es schaurig-romantisch dort sein. Sicherlich aber auch eine Menge Arbeit einen solchen Ort in Schuß zu halten. Eine wundervoll inspirierende Umgebung, um kreativ zu sein und einfach das Leben zu genießen.
Ich träume von stillen Seen, im Halbdunkel, Nebel verhangen. Ein kleiner Steg, die beinahe schwarze Wasseroberfläche. Ein Paddelboot aus Holz, Schilfrohre, kein weiteres Haus in der Nähe. Dieses Bild gibt mir Ruhe.
Ich träume vom Meer. Nicht mehr ängstlich und überfordert von der Weite, wie früher. Sondern von den kleinen Küstendörfchen, dem maritimen Feeling, Cafes, Lädchen und Geschrei von Möwen. Dem Duft von Salzwasser, dem rauen Wind, einem Spaziergang in den Dünen. Dem weiten Blick über das offene Wasser. Das Rauschen der Wellen, die unendliche Geheimnisse in sich bergen. Uralt, unerschütterlich, unüberwindbar.
Auch Berglandschaften haben einen unbestreitbaren Charme. Felsiger Untergrund, Höhenluft, freie Gedanken, keine Begrenzungen. Wiesen und Weiden, Schafe und Kühe, kleine Hütten mit Kuchen und Kaffeeduft. Festes Schuhwerk, Bewegung, frische Luft, die müde macht. Die atemberaubende Gewißheit dass die Steine uns überdauern werden.
Wälder üben eine ähnliche Faszination auf mich aus, wenn auch gleich ganz anderer Natur. Es ist still dort und dennoch vollkommen belebt. Überall huscht und raschelt es, die Blätter wogen oder rieseln, wie zu dieser Jahreszeit. Ich denke an Füchse und Rehe und Hasen und kleine Fröschlein. Wenn man den Wald betritt ist es als würde man in eine andere Zeit eintreten. Alles ist gedämmt, ähnlich wie bei Nebel oder Schnee. Es ist so rein(igend) dort und urspünglich. Ein Spaziergang im Wald kann helfen die Perspektive zu wechseln, wenn die Gedanken kreisen, der Kopf brummt und man irgendwie mit seinem Latein am Ende ist.
Der frühe Morgen, Sonnenaufgang, ein erster Kaffee, ein neuer Tag. Die Welt schläft noch, es ist still. Aber bald wird das Leben erwachen, der Puls der Stadt beschleunigt. Wir sausen durch den Tag mit all seinen Höhen und Tiefen, am Abend geht die Sonne wieder unter, Mondschein. Wir kommen wieder zur Ruhe, lassen die Ereignisse hinter uns, Zeit für Entspannung und Genuß.
Ist der warme Sommer zwangsläufig schöner als der kalte Winter, mit all seinem strahlenden Weiß, den Feierlichkeiten und dem Duft nach Tannen? Oder Frühling mit seinem sprießenden Grün besser als der Herbst mit seinen herrlichen Schattierungen in Rot und Gelb und Orange?
Ich könnte nicht sagen was schöner ist, welche Eindrücke die besseren. Alles ist verschieden. Wir alle sind verschieden. Jeder Tag ist anders, selbst wenn die Abläufe immer gleich erscheinen mögen. Alles ist besonders. Gründe dankbar zu sein, jeden Tag wieder. Und das ist der Unterschied. Glaube ich.
Ob ein Mensch die Gabe seines Bewußtseins und seines freien Willens vergeudet, weil er Tag ein, Tag aus vestreichen läßt. Zwar atmet und sich bewegt, aber nicht er-lebt. Jeder Eindruck ist kostbar, jede Empfindung wertvoll. Auf die ein oder andere Art. Woher sollten wir sonst wissen, dass wir existieren? Und dass wir nicht alleine sind? Was gut ist (für uns)?
Wenn ich einen Stein in die Hand nehme, ihn mit meinen Fingern umschließe, dann fühle ich wie er pulsiert. Wenn ich meiner Katze (egal welcher von den dreien) in die Augen sehe, mein Gesicht in ihrem weichen Fell vergrabe und spüren darf wie sie schnurrt, dass sie Zuneigung für mich empfindet, mir vertraut, dann ist das ein Moment der Glückseligkeit, ein Geschenk. Ein Kind erweckt in mir nicht dasselbe Gefühl, ich habe keine Sehnsucht danach und sie auch nie gehbt. Bin ich deshalb schlecht? Ach was :D
Was das alles mit einem Hexenblog zu tun hat? Sehr viel, alles, mehr als vielleicht Rituale und Formeln und Kartenlegen. Es ist für mich das Gefühl verstanden zu haben, warum ich hier bin. Jetzt, zu dieser Zeit, in dieser Umgebung, in meinem Leben angekommen.
Woher soll jemand wissen können dass er glücklich ist, gesegnet, dass es ihm gut geht, wenn er keinen Vergleich hat? Die anderen Möglichkeiten nicht kennt? Nie erlebt hat, dass er sich auch anders fühlen kann? Schlechter. Ängstlich, traurig, wütend, verzweifelt, eingeengt. Freiheit ist eine großartige Erfahrung. Lange Zeit war ich nicht in der Lage diesem Wort eine besondere Bedeutung zugestehen zu können. Es gab für mich keine Vergleichsmöglichkeit. Es ist das atemberaubende Gefühl die Augen zu öffnen und sich am eigenen Dasein erfreuen zu können. Nicht eingeschränkt zu sein. Zu tun und zu lassen, was Du möchtest. Nicht das vollkommene außer Acht lassen des gesunden Menschenverstandes. Nur ein zusätzliches Gefühl, eine weitere Komponente im Spiel des Lebens.
Vergleiche sind wichtig, Erfahrungen sind wichtig. Sich mit anderen vergleichen zu können ist entscheidend, meinungsbildend, wenn es auch nicht immer zufriedenstellend ausgehen mag. Aber nicht nur indem wir das Bild eines anderen betrachten finden wir uns selbst, sondern insbesondere eben auch indem wir uns selbst ansehen, in uns hinein. Wenn wir sehen wo wir stehen und wissen woher wir gekommen sind. Dann sind wir entweder in der Lage unseren Weg frohen Mutes weiter zu gehen oder aber auch uns offenen Herzens einfach treiben zu lassen.
Wie ein Vogel im Wind, den es über die Felder zieht, der die Freiheit und die Luft in seinen Federn spürt. Er sieht alles von oben. Sein Blick ist weit und offen. Er kümmert sich nicht um die Belange am Boden. Nur dann, wenn es dort etwas für ihn zu holen gibt, oder er ausruhen möchte. Perspektiven, Vergleiche, Gespür. Rhythmen erkennen und akzeptieren. Beobachten, ausprobieren, weiter machen, festhalten. Alles, was wir bewußt tun, ist akzeptabel. Auf die ein oder andere Weise. Ob wir nun freiwillig handeln oder eher gezwungener Maßen. Selbstbestimmtheit ist wichtig. Selbst wenn jemand anders Kontrolle über Dich ausübt, dann sei Dir im Klaren, dass dies nicht anhalten muß. Wir haben beinahe immer die Wahl. Meistens. Häufig auch dann, wenn wir selbst keinen Ausweg sehen. Dann ist es womöglich wieder an der Zeit für einen Perspektivwechsel.
Jede Erfahrung läßt ein Erlebnis in anderem Licht erscheinen, eine Sache. Der Unterschied ist ob wir wissen was wir erleben, was wir betrachten, oder aufgehört haben zu vergleichen.
Wobei ich glaube dass wir nicht alles zergrübeln und zerdenken sollten. Das ist auch nicht gut. Die Gefahr ist dann nämlich genauso groß dass wir den Augenblick gar nicht erleben, sondern ihn nur analysieren. Auf Abstand gehen, aus der Vogelperpektive, den großen Zusammenhang erkennen, das ist eine gute Sache. Ein Baum oder auch ein Berg mögen riesig wirken, wenn man davor steht, man sich klein vorkommt und man nicht weiß wie man ihn erklimmen soll. Wenn man ein ander Mal darüber hinweg fliegt erscheint derselbe womöglich aber nur noch sehr winzig. Aber eben auch nur im Vergleich.
Ich glaube der Unterschied zwischen einem spirituellen Menschen und einem, der seine Sinne vor allem nicht meßbarem, nicht entzauberten verschließt ist der, dass er weniger Perspektiven zur Verfügung hat. Es fehlt ihm ein Vergleich, eine andere Sichtweise. Manchmal einfach nur das Gefühl, die Intuition, die innere Stimme. Das ist ja auch nichts Schlimmes. Aber ich möchte nicht mehr auf diese zusätzlichen Möglichkeiten verzichten. Sie sind da. Den Vogel über Dir nimmst Du auch nicht wahr, wenn Du im Auto sitzt und unter ihm entlang fährst. Aber er ist trotzdem da. Und er sieht Dich ;-)